Plan C

Julley,

Eigentlich wollten wir ja trekken gehen. Gut akklimatisiert waren wir, stellten die täglichen Aufstiege zu den Bergklöstern in und um Leh doch ein gutes Höhentraining dar. Trekking-Proviant hatten wir teils aus Deutschland mitgebacht, teils hier besorgt: Haferflocken, Milchpulver und Trockenfrüchte fürs Frühstück, Instant Nudelsuppen als Mittagssnack, Ingwer und Knoblauch als Naturheilmittel gegen die Höhe, Nüsse und zur großen Freude Timos, Snickers in Massen zur Stärkung für Zwischendurch. Unserem sieben-tägigen Abenteuer, dem Tso-Moriri-Trek, stand somit nichts mehr im Weg - eigentlich. Wären da nicht die fiesen indischen Bakterien, die pünktlich zum Abmarsch den Weg in meinen Darm fanden und mich für einen Tag ans Bett banden und gehörig schwächten.

Auf Verordnung des Hausherren unseres Guesthouses, Sonam, gab es für mich zwei Tage lang nur Reissuppe (ähnlich unseres Milchreis, jedoch ungesüßt) und gekochte ungewürzte Kartoffeln. Timo nutzte derweil den Freifahrtsschein zur Aufnahme westlichen Essens und aß sich an Burgern in der Stadt satt während ich wie ein Faultier schlief und schlief und schlief. Meine einzige Freude in diesen Tagen, neben der Fürsorge meines Mannes selbstverständlich ;-) waren die im Wind wehenden Gebetsflaggen auf dem Hausdach gegenüber unseres Zimmerfensters und der Abendhimmel, der Lehs Palast in die tiefsten blau und lila-Töne hüllt und an dessen Blick man sich einfach nicht satt sehen kann. 


Nach zwei Tagen fühlte ich mich soweit gestärkt, dass Timo und ich beschlossen, eine kürzere Variante des selben Treks zu gehen. Die Rucksäcke erneut gepackt und um ein paar Snickers, die Timo in der Zwischenzeit bereits verdrückt hatte, leichter, sollte es drei Tage später also losgehen. Am Morgen der Abfahrt zum Ausgangspunkt dann das déjà vu: Schwindel, Übelkeit und die kleinen indischen Übeltäter meldeten sich zurück. Mies, mies, mies und nochmal mies. Zutiefst enttäuscht über die Tatsache, dass das nun das Aus unseres Treks bedeuten würde, ging ich also trotzig zurück ins Bett, schlief und aß erneut einen Tag lang Reissuppe. Bergh! Timo schmiedete derweil hochmotiviert  Plan C: Für unseren Trek im tibetischen Grenzraum hatten wir uns ein sogenanntes Inner Line Permit besorgt, das ebenfalls für den pakistanischen Grenzraum und somit für das äußerst abgeschiedene Nubratal gültig ist und dorthin sollte es nun gehen - mit dem Auto.




Am nächsten Morgen tanzte unser Minibus, am Steuer Nawang, unser Fahrer, zu indischer Volksmusik die hubbelige Straße zum Khardung La, dem mit 5600m höchsten befahrbahren Pass der Welt, hoch und auf der anderen Seite wieder runter. Mit Nawang hatten wir wahrlich einen Glücksfang gemacht. Nawang ist ein sehr ruhiger und geduldiger Autofahrer, der, was mehr als untypisch ist, Verkehrsregeln beachtet und sich die erfinderischsten Hinweise, die am Straßenrand angebracht sind, tatsächlich zu Herzen nimmt; darunter: On the bend, go slow friend; Drive slow, live longer; Drive on horse power, not on rum power; No race, no rally, enjoy the beauty of the valley; Faster spells disaster; Speed thrills but kills; Better Mr. Late, than Late Mr.;... 




Bei ihm im Auto haben wir uns so sicher wie noch nie gefühlt und haben die Tage in vollen Zügen genießen können und das nicht nur auf Grund seiner Fahrkünste, sondern weil er ein sehr warmherziger und besonnener Mensch ist. Wie wir später von unseren Hosts in Leh erfahren, war Nawang bis vor sechs Jahren noch ein Mönch und das merkt man.


Die Ausblicke auf Berge und Täler und die Einblicke in die Kultur auf der anderen Seite von Leh waren einfach großartig und entschädigten langsam aber sicher für den verpassten Trek. Die Landschaft auf der anderen Seite ist immer noch geprägt von Wüste und das nicht mehr nur in Form von trockenen ockerfarbenen Bergen, sondern Sanddünen und im Hintergrund Schneeberge- einfach surreal. 




Fährt man das Nubratal sozusagen bis ans Ende Indiens entlang, passiert man eine Vielzahl "unsichtbarer" kleiner Dörfer, deren Häuser hinter den Bäumen verschwinden und von der Straße aus nicht zu sehen sind. Umso faszinierender ist es, wenn man durch die Dörfer hindurch läuft und plötzlich Frauen Unmengen an Geschirr im Bach waschen sieht, Kinder auf den engen Wegen herumtollen und sich weitläufige Getreidefelder auftun. 

Mit zunehmender Nähe zur pakistanischen Grenze werden diese Dörfer von den Balti bewohnt, also Muslimen pakistanischen Ursprungs, die sich im pakistanischen Baltistan, wenige Kilometer flussabwärts fortsetzten. Schon irgendwie spannend so nah an Pakistan zu sein. Was wohl passieren würde, wenn man auf dem Nubrafluss mit einem Paddelboot ins Land "einreisen" würde? Und wie die Dörfer da wohl aussehen? Genau wie hier in Indien? Irgendwann müssen wir wohl auch mal ins Nachbarland reisen um diese Fragen zu klären ;-) Ganz so abwegig ist das gar nicht. Unterwegs treffen wir ein deutsches Pärchen in den 60ern, die schon mehrmals in Pakistan trekken waren und davon schwärmen. Viel erzählenswerter ist jedoch, dass wir das Paar schon mal getroffen haben - und zwar vor eineinhalb Jahren auf den Andamanen, wo wir in der gleichen Unterkunft untergebracht waren. Einfach verrückt!




Eine Nacht wollten wir in einem Homestay verbringen, der jedoch geschlossen war. Da es in diesem Dorf keine andere Unterkunft gab - das Dorf war mitten im Nirgendwo und bestand lediglich aus drei Häusern, also einer Familie - klopfte Nawang einfach bei der einen Familie an der Tür und bat, uns eine Nacht Unterschlupf zu gewähren. Und so kam es, dass wir in den Genuss einer zwar nicht ganz so guten Nacht auf Teppichen, aber dafür eines ganz besonderen und unverfälschten Erlebnisses kamen: Zur Begrüßung gab es Buttertee, Schwarztee, der mit Wasser, Butter und Salz gekocht wird. Wir taten unser Bestes und leerten die Tassen, Stoßgebete zum Himmel sendend, dass unser Magen uns das verzeihen würde. Am Abend wurde ein Festmahl aufgefahren. Es gab Timok, ähnlich unserer Dampfnudeln, mit Gemüse, serviert auf dem besten Geschirr, was die Familie hat. Nach dem Essen saßen wir noch eine Weile zusammen und erzählten. Nawang und die Jüngste im Haus, Dringdiskit, Studentin in Leh, dolmetschten dabei. Am nächsten Morgen wurden wir vom Duft frisch entfachten Feuers im Ofen und dem Geräusch von Joghurtschlagen geweckt. Nach einer Portion Tsampa (geröstetes Weizenmehl vermischt mit Buttertee) und einem Familienfoto ging es am nächsten Morgen weiter. 




Unser nächstes Ziel war Changthang, das tibetische Hochplateau, welches für seine Seen bekannt ist. Da Ladakh buchstäblich "Land der Pässe" bedeutet, mussten wir auch heute wieder viele Serpentinen hoch und runter ruckeln, um einige Pässe zu überqueren und bei jedem Mal, da wir oben ankamen, riefen wir "Largalo, Largalo, Largalo", eine Art Dank für die sichere Fahrt. 



Changthang ist die Region, in der wir eigentlich trekken gehen wollten und so ließen wir es uns nicht nehmen, zwei Nächte im Zelt zu verbringen und für uns selbst zu kochen. Das Erlebnis war intensiv: die Nächte auf 4500m waren eiskalt und windig, doch unsere Superschlafsäcke hielten uns warm, das Trekkingessen schmeckte selbst nach einer langen Autofahrt vorzüglich, der Sternenhimmel in dieser Höhe, weit und breit keine Lichter, unbeschreiblich, das Wasser des Tso Moriri beim Bad am Morgen fürchterlich kalt und die Abgeschiedenheit und Ruhe einfach wohltuend. 




An einem Morgen wurden wir hier vom Knattern eines Motorrads geweckt, welches hinter unserem Zelt hin und her zu fahren schien. Als wir eine Weile später am Frühstücken waren, kam es zurück und wir erfuhren den Grund der morgendlichen Ruhestörung: Dorji, ein junger Mann aus Bhutan, hatte gehofft ein Bild von sich vor unserem Zelt schießen zu dürfen ;-) Wenn wir somit das Bruttoinlandsglück Bhutans steigern können... 



Zum Abschied von Leh überreichten uns Stenzin, Sonam und Padma, die Besitzer des Silver Cloud Guesthouses, in dem wir sozusagen unsere Home Base hatten, beim gemeinsamen Abendessen, eine Khartak. Das ist ein Schal, der traditionellerweise Freunden und Verwandten zum Abschied überreicht wird. Ein wirklich rührender Moment und ein schöner Abschluss des ersten Teils unseres Indienabenteuers.

Nun sitzen wir im Flieger nach Delhi. Wir freuen uns auf sieben Tage "real India" und hoffen, von keinen weiteren Bakterieninvasionen berichten zu müssen...

Timo & Hanna 



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