Time to Go(a) to Mumbai

Schon seit Stunden sitzen wir in einem Zug, der mit einer Klimaanlage ausgestattet ist, an der sich die Deusche Bahn eine Scheibe abschneiden könnte. Es herschen Temperaturen wie momentan in Deutschland minus des Schnees und wir überlegen, ob wir tatsächlich unsere Mützen aus den Tiefen unseres Rucksacks hervorkramen sollen. Ach was, wir machen einfach die Augen zu und denken an unsere erste Woche in Indien, die wir in Goa am Strand verbracht haben, und schon wird’s warm. 



Wer meint und so wie wir einst dachten, Goa sei nur Party, Hotelbunker, penetrante Strandverkäufer, laute Musik und zugekiffte Hippies, der hat sich getäuscht. All das findet man zu Genüge im Norden des wohl liberalsten, ehemals portugiesischen und damit mehrheitlich christlichen Bundesstaats, wo wir bei unserem ersten Indienbesuch ebenfalls in poschen Strandbars mit unserem Couchsurfer bis in die Morgenstunden getanzt haben. Im Süden geht es wesentlich ruhiger zu - und noch ruhiger ist es vor der Ankunft der (Langzeit-)Urlauber, die erst ab Mitte Dezember ans arabische Meer fliehen, um dort bei sommerlichen Temperaturen zu überwintern. Wir hatten Glück, denn die meisten Hütten wurden gerade erst fertig gestellt (die Steuern sind so hoch, dass die Besitzer oft nur eine Lizenz für sechs Monate erwerben), sodass wir einen guten Preis für eine abgeschiedene Holzhütte in 1A Lage, auf einem Hügel mit Blick auf Meer und Palmen, aushandeln konnten. Und so sind es die Erinnerungen an die Weite des Meeres, die Farben der Sonnenuntergänge und das Rascheln der Palmen von eben dieser aus gesehen, die uns jetzt wärmen. 


Ausblick von unserer Veranda


Palolem Beach



- und der Gedanke an ausgedehnte Spaziergänge entlang Kilometer langer von Palmen gesäumter Strände, die, je weiter man ab Palolem in den Süden marschiert, immer menschenleerer werden; an eine lange Kayaktour zu einem entlegenen Strand, während derer plötzlich nur noch wir und jede Menge Delfine auf den Wellen ritten; an Beachball spielen und schwimmen; an Kirchenbesuche in Old Goa und an den Vorgeschmack auf das indische Essen und an den intensiven Geschmack exotischer Früchte. 


Galgibaga Beach


Blick auf die Basilica Bom Jesus




Sonnenuntergng über der Basilica Bom Jesus und der Sé Cathedral 


Freudensprünge am Cola Beach, Ziel unserer Kayak Tour (natürlich inkl. Cola)





Und weil Timo und ich es ja bekanntlich nicht so laut mögen, gab es in Colom auch DIE Party für uns: eine Silent Party. Jeder Gast bekommt einen Kopfhörer und hat die Wahl zwischen drei verschiedenen Musikrichtungen: Techno, Pop und Bollywood. Sogar die Lautstärke kann man sich selbst einstellen. So konnte Timo, als die Backstreet Boys liefen, einfach wegschalten und ich konnte die Musik aufdrehen. Nur musste ich aufpassen nicht mit zu grölen... Eine geniale Erfindung! Und wer weder gerne tanzt noch Musik hört hat sicherlich jede Menge Spaß den anderen zuzusehen, wie sie scheinbar in Stille tanzen ;-)









Und weil es uns so gut gefallen hat, verlängerten wir jeden Morgen um eine weitere Nacht, bis schließlich nach acht Nächten die Zeit gekommen war, nach Mumbai weiter zu reisen. Somit mussten wir Abschied nehmen - nicht nur von diesem idyllischen Ort, sondern auch von den Menschen, die uns während dieser Woche immer wieder begegenet sind: Von Harry, einem Leuchtartikelverkäufer, der jeden Tag ein neues Fußballtrikot trug und der darauf spart, seinen Namen auf die Rückseite seines Lieblingstrikots, das des BVB, drucken zu lassen; von Gita, einer Klamottenverkäuferin, bei der Timo und ich unsere Funktionskleidungssammlung um kurzlebige Strandoutfits erweiterten und von Prakash, dem Betreiber unseres Lieblings-Frühstücksdhhabas, dessen allmorgendliches breites Grinsen uns sicherlich noch ein Weilchen im Gedächtnis bleiben wird. 






St. Cajetan Kirche



Der Kontrast hätte kaum größer sein können als wir nach 10 Stunden Zugfahrt in einer der größten Metropolen Indiens ausstiegen. Zum Glück waren wir schon mal in Mumbai, sodass wir gefasst waren auf die von der Hitze aufgeladenen betäubenden Gerüche, die nur schwer annehmbare soziale Ungerechtigkeit, die verstopften Straßen und Züge und die aggressiven Autofahrer, die immer noch hoffen, das Verkehrswirrwarr mit unerlässlichem Hupen zu lösen. Doch Mumbai ist nicht nur Chaos und Moloch. 




Chattrapati Shivaji Terminus oder einfacher: Victoria Terminus



In Mumbai, Indiens „Street Food Capital“, gibt es indisches Essen aus der Geschmackspalette des ganzen Landes, bunte Märkte, viele zur Entspannung und zum Kricketspielen einladende Grünflächen, zwei erstaunlich saubere Stadtstrände (wenn auch das Wasser sehr verschmutzt sein muss, da alle Abwasser ins Meer geleitet werden), schöne viktorianische Gebäude, Zeugnisse der englischen Herrschaft, wie beispielsweise Mumbais Victoria Station und das Gateway of India, und Kinos in Hülle und Fülle - Mumbais großer Stolz. Natürlich waren auch wir mal wieder im Kino. Nein, wir verstehen immer noch kein Hindi ;-) Die übertriebene Gestik und Mimik, die fantastischen Tänze und Kostüme und die ansprechende Musik sprechen für sich und in Mumbai ist das Kinoerlebnis noch um einen Faktor spaßiger: Vor dem Film wird die Nationalhymne gespielt und die Zuschauer erheben sich. Verrückt...













Faszinierend bzw. spannend ist auch der Alltag Mumbais, der sich von dem in deutschen Großstädten sehr unterscheidet. Arbeiter in mittelständischen Betrieben werden zur Mittagessenszeit von ihren Ehefrauen oder Müttern durch sogenannte Dabawallahs mit Essen versorgt. Das Essen wird dabei aus der jeweils heimischen Vorstadtküche in einer von insgesamt 200 000 kleinen silbernen „Tiffin-Boxen“ per Bote (Dabawallah) zuerst im Zug geliefert und danach von anderen Dabawallahs auf dem Kopf oder per Fahrrad an ihre Endstation befördert. Eine andere Option bieten die vielen mobilen Garküchen, deren Essen ebenfalls in großen Behältern auf dem Kopf der Verkäufer transportiert wird. 




Südindisches Masala Dosa (mit würzigen Kartoffeln gefüllter Crêpe, rotes Sambar und Coconut Chutney) - the best! 


Stolzer Träger am Crawford Market





In den sogenannten Mahalaxmi Dhobi Ghats, riesigen Outdoor-Waschanlagen, wird noch immer ein Großteil Mumbais Wäsche ohne die Verwendung industrieller Maschinen von den Bewohnern des Stadtviertels in Betonbecken gewaschen und am gleichen Ort getrocknet, gebügelt,... 



Auch in Dharavi, einem von Mumbais vielen und zugleich Asiens größtem Slum, der so groß ist wie 500 Fußballfelder und dessen Häuser illegalerweise erbaut wurden, wird körperlich hart gearbeitet. In 15 000 Mini-Fabriken arbeiten 1/4 Millionen Arbeiter, die einen Jahresumsatz von 1 Milliarde Dollar erwirtschaften. Trotz der offensichtlichen Armut, in der viele seiner Bewohner leben, ist der Slum, so komisch das auch klingen mag, eines der vorbildlichsten Wirtschaftsmodelle Asiens, denn die meisten Unternehmen arbeiten in der Abfallverwertung. Jung und alt sammeln und transportieren Abfallstoffe in großen Bündeln zum Recyceln in den Slum. Dort werden Plastikteile nach Farben getrennt und zu neuem Plastik verarbeitet, Aluminium wird eingeschmolzen, Lederwaren aufgearbeitet, alte Ölfässer und Farbkanister gereinigt. Die Monatseinkünfte liegen dabei zwischen drei Tausend bis fünfzehn Tausend Rupien (38-190 €) und damit über dem Landesdurchschnitt. 

Wir haben mit Rakesh, einem Guide der NGO „Reality Tours and Travels“ und Bewohner Dharavis, sein heimisches Viertel besucht und gelernt, dass die niedrigen Lebenshaltungskosten unter anderem dem Mittelstand die Möglichkeit bieten, ihr Verdientes zu sparen und trotzdem unter annehmbaren Bedingungen in einer Gemeinschaft zu leben, die eine Wohnung in einem anonymen Block ihnen nicht bieten könnte. Dennoch ist insbesondere der sanitäre Notstand für die ärmsten Bewohner ein Problem: 1000 Bewohner teilen sich eine Toilette (nur wenige Häuse besitzen Toiletten) und zur Monsunzeit während der Sommermonate sind die untersten Etagen vieler Häuser überflutet, denn es gibt kein Abwassersystem. Anstelle die bestehende Infrakstruktur auszubauen und zusätzliche Schulen und Krankenhäuser zu bauen, bietet die Regierung den Slumbewohnern Wohnungen in, wie Rakesh sagte, „schrottigen Hochhäusern“, denn sie hat großes Interesse an dem mittlerweile Millionen schweren Stück Land in zentralster Lage. Doch die Bewohner halten den Umsiedlungsplänen der Regierung stand. Wer Interesse hat, sich die Arbeit der NGO und Bilder des Alltags in Dharavi anzuschauen, kann dies unter folgender Adresse tun: www.bit.ly/DharaviPhotos.

In Anbetracht dessen, was wir während unseres Aufenthalts in Mumbai erfahren und gesehen haben, scheint ein zu gut gekühltes Zugabteil, nicht weiter erwähnenswert und wir verabschieden uns für heute...

Liebe Grüße aus Südindien!!! 


Abendstimmung unterm Brandenburger Tor Mumbais, dem Gateway of India

Kommentare

  1. Peter von Humboldt9. Dezember 2018 um 05:13

    Eigentlich wollte ich ja nicht zu viel dummes Zeug hier schreiben... aber zu dem einen Bild dann doch... ihr beiden, hockend, vor den Palmen: Timo, wo kommen denn die Muskeln her? Hast du Hanna durch den Himalaya getragen? Die Backstreet Boys würden jedenfalls vor Neid erblassen. "Larger than life!" ;-) Grüße von PuN!

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    1. 🤣 Aber Peter, Timo trägt mich doch schon seit zehn Jahren auf den Händen. Daher... Danke für die Komplimente und freu dich auf die Bilder im nächsten Eintrag 😉 Du wirst wissen, wovon ich spreche, denn sie sind köstlich 🤪

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