Driving home for Christmas
Heute ist unser letzter Tag in Indien und wir genießen nochmal die Morgensonne auf der Dachterasse unserer Unterkunft, die zu dieser Jahreszeit im nördlichen Indien richtig gut tut. Ab morgen heißt es Kälte UND... Ruhe; letzteres ein wahres Weihnachtsgeschenk nach vier Wochen Indien.
Während wir hier so sitzen, trommeln im Tempel die Straße bergab gefühlt mindestens zwei unbeaufsichtigte fünfte Klassen, die den Geräuschpegel jeder Heavy Metall Band überbieten. Zwei Mal am Tag kommt eine Hand voll Gläubige in dem kleinen Hindu Tempel zusammen, um ihre Götter auf diese Weise anzubeten. Dazu kommt das schrille ununterbrochene Hupen, das immer noch versucht, das Chaos zu beseitigen, welches die viel zu enge two-way street beherrscht, die noch nicht mal in eine Richtung genug Platz böte für die Warenauslage der Shops, die heiligen Kühe, die bunt bemalten Laster, die für Indien so typischen Rikschas, prollige Autos, überfrachtete Mopeds und Fahrräder, streunende Hunde, von Menschen geschobene oder gezogene Holzkarren, Menschen und Kamele.
Kunterbuntes Straßenleben in ganz Indien
Kreative Verzierungen der Fortbewegungsmittel
Jag Mandir, einer der vielen Paläste in Udaipur
Traditionelle Wandmalerei in Udaipur
Kamele? - Ja, denn wir befinden uns in Udaipur in Rajastan. Der Bundesstaat Rajastan mit der Thar Wüste und den Städten, Jaisalmer, Jodhpur und Jaipur, die wir alle bereits besichtigt haben, ist nicht nur auf Grund seiner Nähe zu Delhi, sondern vor allem wegen seines königlichen Erbes, den pompösen Festungen und Prachtvollen Palästen der Rajputs, ein viel besuchtes Reiseziel. Udaipur, genauer gesagt dessen schwimmender Palast, dürfte einigen aus dem James Bond Film „Octopussy“ bekannt sein. Wenn auch nicht Roger Moore mit uns die Idylle um den Pichola See genoss, Hillary Clinton und Beyoncé taten es, denn eine der, so sagte man uns zumindest, reichsten Familien den Landes, hatte den gesamten Palast Udaipurs für die Hochzeit ihrer Tochter gebucht und Hillary Clinton als obligatorisches westliches Fotomotiv und Beyoncé zur musikalischen Gestaltung der Hochzeit eingeladen. Hätten wir uns nur früher angekündigt... Von dem Konzert Beyoncés profitierten wir trotzdem, denn in Indien ist ja alles immer ein bisschen lauter.
Früher ein schwimmender Palast, heute das Taj Palace Hotel
Aufräumarbeiten nach der Megahochzeit im Stadtpalast
Tempelarchitektur: in Indien nie langweilig
Laut waren auch unsere Busfahrten von Mandu über Vadodara nach Udaipur, denn Busfahrten laufen in Indien für gewöhnlich ganz anders ab als in Deutschland. Zuerst einmal muss man, wie bei allem in Indien, „ein bisschen“ warten bis zur Abfahrt. Zur Berechnung der Wartezeit liegt man selten falsch, wenn man die von offiziellen Stellen angegebene Zeit mit drei multipliziert: 15 indische Minuten sind also ungefähr 45 deutsche Minuten. Dann ist es natürlich nicht so, dass man während des Wartens, egal ob noch in der Wartehalle oder schon im Bus, in Ruhe ein Buch lesen kann, denn die lebendige Werbung, die um einen herum in Endlosschleife läuft, kann man kaum ignorieren. Von Marktschreiern lautstark und auf penetrante Weise beworben werden Pani (Wasser) Bottles, Chai und Kopi (Tee und Kaffee), aufgeschnittene Gurken, Plastikohrringe und - Armbänder, Kreditkartenhalter, Erdnüsse und anderes Erdenkliches mehr, was man in Eimern oder Schalen auf dem Kopf transportieren kann. Und wenn der Bus dann endlich abfährt, läuft ein mieser altmodischer Hindi Film nach dem anderen, mit Gemetzel in einer Lautstärke, dass man sich am Ende der Fahrt wünscht, die nächste Strecke mit Hillary Clinton in ihrem Privatjet zurücklegen zu dürfen.
In Rajastan bedecken viele Frauen mit ihren Saris das Haar
Kleiner Schrein/Tempel, wie er an vielen Ecken zu finden ist
Selfie Time: hier mit zwei frisch verheirateten Frauen; erkennbar u.a. an den vielen Armreifen
Manch einen schrecken diese und andere Gegebenheiten verständlicherweise von einer Reise nach Indien ab. Uns zieht das Ungeordnete zunächst an bzw. wir arrangieren uns sehr gut damit und haben meist sogar Spaß dabei ;-) Wir werden von Asienreise zu Asienreise immer besser darin, nicht schon 15 Minuten VOR geplanter Abfahrt unruhig auf die Uhr zu schauen und haben gelernt, Geräusche auch mal auszublenden - auch wenn wir niemals mehr ohne die guten Noise Canselling Kopfhörer nach Indien reisen... Aber ab und zu sind auch wir ganz schön geschafft vom Lärm und dem Gewusel.
In Indien eher selten: idyllische Ruhe wie hier im Sahelion-ki-Bari, einst der Park der Königin und ihrer Damen
Im Jaggdish Mandir, einem reich verzierten Hindu Tempel in Udaipur
Ein Anhänger der Jains; Jains sind sehr strenge Vegetarier und tragen, um keine Insekten zu verschlucken, einen Mundschutz
Die nächsten Hochzeitsvorbereitungen werden bereits getroffen
Daher haben wir unseren dreitägigen Besuch bei Maneesha und Dalip, einem Ehepaar Mitte 50, welches wir in Nepal während unseres Trekkings kennengelernt und die uns in ihr Haus nach Vadodara in Gujarat eingeladen haben, umso mehr genossen. Die beiden wohnen in einer ruhigen mittelständigen Wohngegend; die einzigen Geräusche sind Tiergeräusche von Affen, Pfauen und Vögeln, die von der großen Grünfläche um ihr Haus angelockt werden. Gujarat ist der westlichste Bundesstaat Indiens dessen Sehenswürdigkeiten mit denen seines Nachbarstaats, Rajastan, keinesfalls mithalten können. So liegt Vadodara also fernab des Haupttouristenpfads und war perfekt für eine Erholungspause während unserer Indienreise. (Das dürfte sich jedoch evtl. bald ändern, denn Gujarat punktet seit neustem mit der welthöchsten Statue der Einheit.) Unsere Zeit bei Manusha und Dalip war jedoch keinesfalls langweilig: Wir haben viel über Indien und die Welt diskutiert, haben gelernt, wie man Joghurt selbst macht und haben andere indische Gerichte gekocht, mussten von Früchten über Snacks bis hin zu Filmen alles probieren, was Manusha in die Hände bekam, waren joggen, Kaffee trinken, shoppen und haben die indische Gastfreundschaft in vollen Zügen genossen. Also lasst euch nicht abschrecken; Indien ist nicht nur Chaos ;-)
Dieses Schild, dem man in Indien immer häufiger begegnet, steht in krassem Kontrast zu der „Please Horn“ Aufforderung auf den Ladeflächen der Trucks (s.o.)
Fast fertiger Yoghurt bzw. „Curd“, wie er in Indien genannt wird: lauwarme Milch, Yoghurtbakterien dazu, an einem warmen Ort drei Stunden warten lassen... fertig!
Der Radau im Tempel ist mittlerweile verstummt, doch das Verkehrschaos hält Stand. Wir haben genug Wärme gespeichert; den Rest erledigen ab Morgen Glühwein und Plätzchen vorm Kaminfeuer UND... der Gedanke an Kuba, wo wir ab Januar Rad fahren wollen.
Euch wünschen wir eine frohe Weihnachtszeit und erholsame Ferien.
Wir freuen uns auf baldige Wiedersehen!
Hanna und Timo
P.S.: Schön, dass ihr „dabei“ wart...
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