Trekking-Tagebuch Teil 1: Faszinierendes Mustang
Alles Drehen hat geholfen. Es wurde wunderschön; wäre es doch nur von Anfang an so traumhaft gewesen.
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Tag 1: Unser Trekkingabenteuer beginnt verheißungsvoll; bei blauem Himmel und erstmals klarer Sicht auf die Berge verlassen wir Pokhara in Richtung Himalaya. Unser Bus schunkelt auf der asphaltierten, jedoch sehr löchrigen Straße nach Beni von der einen auf die andere Seite. Die Kichererbsen, die es soeben noch zum Frühstück gab, tänzeln im Rhythmus der nepalesischen Musik, die aus den Lautsprechern des Buses dröhnt und jegliche Unterhaltung verbietet, in unseren Mägen hin und her. Hin und wieder frage ich mich, wann die Räder den Kontakt zum Boden verlieren und der Bus vor lauter Schaukeln umkippt.
Unsere Freude über das gute Wetter und die für nepalesische Verhältnisse gute Straße währt jedoch nicht lange. Nach 82 km in rekordverdächtigen sechs Stunden machen sich die ersten Schäden der heftigen Monsunregen der vergangenen Wochen bemerkbar. Hinter Beni fehlt ein Stück Straße, welches uns dazu veranlasst, in einen bereits auf uns wartenden Bus umzusteigen, bei dem noch nicht mal mehr die Musikanlage funktioniert - und das hat hier einiges zu heißen. Der Bus ist prall gefüllt; die vier coolen nepalesischen Opis in der hintersten Reihe freuen sich sichtlich, einem europäischen Riesen Platz zu machen. Ich muss mit einem Rucksack im Gang Vorlieb nehmen. Doch auch die Freude der nepalesischen Opis währt nicht lange. Wir tun etwas, was wir noch nie getan haben, jedoch bereits häufiger hätten tun sollen: Wir stoppen den Bus und steigen aus. Zu riskant scheint uns die Weiterfahrt in dem schrottreifen, überfüllten und zum Absturz verdammten Bus auf der viel zu engen matschigen Schotterpiste entlang des Abgrundes.
Wir setzen uns zu Fuß in Bewegung, wohl wissend, dass wir somit fünf Tagesmärsche bis zum Ausgangspunkt unseres Treks in Jomsom vor uns haben. Doch das Glück ist kurzzeitig auf unserer Seite, denn nach ein paar Kilometern ergattern wir ein Taxi für den zwanzigfachen Preis einer Busfahrt. Im Taxi funktioniert nicht nur die Musik, sondern zudem das Musikvideo, welches auf einem den Rückspiegel überdeckenden Handy läuft. Wer braucht schon Rückspiegel? Hoffentlich lässt sich der Fahrer nicht ebenso sehr durch die sich räkelnden Nepalesinnen von der Fahrt ablenken wie ich mich. Tut er nicht. Wir haben den wohl besten Fahrer der Welt erwischt. Wir wussten gar nicht, was ein Suzuki alles kann. Doch auch die Teilnahme an den Mudmasters endet nach 20 km als wir nunmehr zum zweiten Mal im Schlamm stecken bleiben. Wir laufen die letzten 6 Kilometer und finden uns eine einfache Herberge in Dhana. Auf die großen Spinnen an der Wand hätten wir im Anblick der Strapazen des Tages gerne verzichtet, doch auch diese suchen Zuflucht vor dem Regen im Trockenen.
Tag 2: Von unseren Gastgebern haben wir gehört, dass die Straße Richtung Jomsom auf den kommenden 20 Kilometern mehrmals durch Erdrutsche unbefahrbar ist und es für uns keinen Sinn hat, die Weiterreise per Bus oder Jeep zu versuchen. Also laufen wir auf der anderen Talseite: vorbei an Bananenstauden und Reisfeldern, über Hängebrücken, die den tosenden Kali Gandaki Fluss überspannen, neben Pilgern auf ihrem Weg nach Muktinath und durch ausgestorbene Dörfer hindurch; Dörfer, die einst an einer der Haupttrekkingrouten Nepals, der Annapurna-Umrundung, lagen, und die heute auf Grund der Straße und der Möglichkeit von Pokhara nach Jomsom zu fliegen, kaum noch angesteuert werden. Es tut uns im Herzen weh, diese ausgestorbenen Dörfer zu sehen. Vor sechs Jahren liefen wir während unserer Annapurna-Umrundung durch sie hindurch und waren fasziniert von ihrer Schönheit und Lebendigkeit...
Der Marsch ist lang, es ist heiß und unser Rucksack wiegt schwer. Doch damit nicht genug. Bereits als der abendliche Regen einsetzt und unsere Beine uns kaum noch tragen können, stoßen wir entlang der Straße, auf die wir ab Ghasa wechseln mussten, immer noch zu Fuß auf einen von einem Erdrutsch bedeckten Jeep. Ein Bagger ist bereits dabei, riesige Steinsbrocken aus dem Weg, den Abhang hinunter in den Fluss zu räumen. Ein selbsternannter Aufseher winkt uns vorbei; die Lage sei sicher. Also rennen wir, so schnell uns der Knie tiefe Matsch erlaubt, an der Unglücksstelle vorbei. Doch es kommt noch schlimmer. Kurz hinter dem verschütteten Jeep treffen wir auf eine Gruppe Motorradfahrer, die uns berichten, dass der Hang auf den wir zusteuern, gerade hinter ihnen abgerutscht sei. Wir sehen, wie immer noch Steine und Matsch, durch den Regen zum Leben erweckt, Schlucht abwärts fließen. Es fühlt sich an, als könnten wir weder vor noch zurück.
Wir warten ab, bis es für einen kurzen Moment aufhört zu regnen, und rennen, so schnell wir können auch hier wieder durch fast Knie tiefen Matsch; mit uns eine Gruppe Nepalis, darunter Frauen mit Babys, für die diese Lebensbedingungen alltäglich sind. Die knapp 100m fühlen sich an wie eine Ewigkeit. Am Ende haben wir es geschafft! Immer noch klopfenden Herzens finden wir ein paar Kilometer später in Lethe eine Herberge. Hier treffen wir auf Bikhal, den Manager einer Konstruktionsfirma, der uns mit seinem markanten ansteckenden Lachen nach dem Bericht unserer Nahtoderlebnisse sagt: „It‘s a good experience for you. You have something to tell your friends and family.“ Ob unsere Eltern das auch so sehen?
Tag 3: Es hat zu regnen aufgehört, die Wolken enthüllen die zum Frühstück und die bloße Tatsache, dass wir dem oberen Mustangtal, einer Bergwüste und somit Sonne und Trockenheit en masse, in der wir elf Tage trekken wollen, immer näher kommen, stimmt uns positiv. Obwohl ich mir noch vor zwei Tagen geschworen habe, nie wieder im Gebirge in einen ausrangierten Bus zu steigen, lasse ich mich überreden, die letzten 26 Kilometer von Kalapani bis Jomsom doch mit dem Bus zurückzulegen. Nicht Bikhals Argument, es handle sich um einen „Deluxe“ Bus (auf dem Heckfenster des Busses könnte ebenso gelogen „Luftschiff“ oder „persönlicher Fernseher für jeden“ stehen), sondern die Tasache, dass das Flusstal hier breiter und die Straße somit weniger abschüssig ist, überzeugen mich - und alles geht gut.
Wir treffen auf Sishir, unseren Guide und Träger, der uns die kommenden Wochen begleiten und uns ein paar Kilo unseres Gepäcks abnehmen wird. Eigentlich wollten wir ja am Liebsten alleine laufen, um größtmögliche Flexibilität während des Trekkings zu genießen. Die „restricted areas“ (Upper Mustang, Manaslu und Tsum), die wir erlaufen wollen, erlauben dies allerdings nicht. Wie sich jedoch herausstellt, ist Sishir ein wunderbarer, zuverlässiger und zuvorkommender Begleiter, den uns die Trekkingagentur „Royal Mountain Trekking“, geführt von einem nepalesischen Freund von zwei deutschen Reisenden, die wir aus Indien kennen, vermittelt hat.
Tag 4: Unser erster Tag im oberen Mustangtal, welches sich hinter Kagbeni eröffnet, beginnt mit Regen. Ahhh!!!!! Von unserem ersten Trek in Nepal, bei dem es während der ersten Woche unaufhörlich geregnet hat, wissen wir, dass wir uns die Berge und das gute Wetter wohl erst verdienen müssen. Also sind wir dankbar, dass das kühle Nass den Staub der Straße und die alltäglichen gen Mittag aufziehenden Sandstürme mindert. Mit der Ankunft in Chuksang sind wir nun mittendrin im oberen Mustangtal: tibetische Dörfer und Klöster, Terassenfelder bepflanzt mit Gerste, Buchweizen, Mais und allerlei Gemüse und die für die Landschaft Mustangs berühmten Orgelpfeifen aus Stein versetzen uns ins Staunen, nicht zu vergessen die Sonne und der auf dieser Höhe so wunderschöne blaue Himmel. Da können die erste westliche Toilette und die heiße Dusche kaum mithalten.
Tag 5: Langsam aber stetig geht es bergauf. Die Weite und die Farben der Gebirgslandschaft sind unbeschreiblich schön. Wir genießen Milchtee auf den Dächern der tibetischen Häuser, die als Erweiterung des Inneren zum Trocknen von Wäsche, Gemüse, Brennholz, Kuhdung, Gras und zum Erzeugen von Solarenergie und spiritueller Energie durch die vielen Gebetsfahnen genutzt werden. In unserer Unterkunft in Samar treffen wir auf eine Gruppe Belgier. Durch die lediglich aus Holzplanken bestehenden und damit höchst Geräusch durchlässigen Wände werden wir nachts vom Schnarchen eines Belgiers vom Schlafen abgehalten. Als wir uns im Aufenthaltsraum auf die Bänke legen wollen, quartiert uns die Familie kurzerhand in ihrem Gebetsraum ein - mit der Bitte, das ewige Licht, eine immer brennende Kerze vor dem gerahmten Dalai Lama, nicht auszupusten. Wie romantisch :-)
Tag 6: Der Tag beginnt wie meist mit Chapati, Omlette und Tee in einer von dem Geruch von verbranntem Kuhdung gefüllten Küche. Auf der heutigen Wanderung kommen wir an einem buddhistischen mit Gebetsflaggen, Gebetsmühlen und reichlichen Miniaturbuddhas aus Stein verzierten Höhlentempel vorbei. Faszinierend! Die Landschaft und die Höhe werden immer atem(be)raubender. Am Abend erklimmen wir in Syangmoche einen Hügel, von dem aus wir die untergehende Sonne über den fernen Schneeriesen des Himalaya sowie die tibetische Hochebene bewundern können. One day...
Tag 7: Der Tag beginnt entlang der entstehenden „Autobahn“, die China mit Nepal verbinden soll. Während das Mustangtal einst abgeschnitten von der Außenwelt und die hiesige Natur unberührt war, entsteht hier eine Handelsstraße, die die Lebensbedingungen der Menschen sicherlich vereinfacht, die Natur jedoch nach chinesischer Manier, denn die Chinesen finanzieren die Straße, zerstört. Als Trekkingroute eignet sich dieser Weg allerdings nicht. Daher zweigen wir auf einen Wanderweg in Richtung Drakhmar ab. Bei unserer Ankunft staunen wir nicht schlecht über die roten Felsen, an die sich das Dorf schmiegt. Wandelnde Strohballen auf Pferden und Menschen gehen ein Stück unseres Weges. Die ersten Anzeichen von Appetitlosigkeit und Kopfschmerzen auf Grund der Höhe machen sich breit.
Tag 8: Wir knacken die 4000m und kommen in Lo Manthang, der Hauptstadt des einstigen Königreichs Mustang, an. Die Aussicht von den Hügeln vor der Hauptstadt ist der Wahnsinn. Das hauptstättische Dorf scheint so nah und ist doch so fern. Müden Schrittes nähern wir uns dem Ort, an dem wir die kommenden drei Tage verbringen wollen. Das Versprechen der „24 hour-hot shower“ erfüllt sich leider nicht, denn eine Gruppe Quebekker hat uns das ganze warme Wasser weggeduscht.
Tag 9+10: Auf dem Programm stehen Ausschlafen, Waschen, Vorräte (Toilettenpapier und Duschgel) auffüllen und viiiiiiiele Klöster besichtigen, wovon eins schöner als das andere ist. Die Luft ist dünn hier oben. Wir müssen alles gaaanz langsam angehen. Wir lernen Tashi kennen, einen Thanka-Maler (traditionelle Klostermalerei). 30 km vor der Grenze zu Tibet erspähen wir das erste Straßenschild in Nepal. In einem Bergkloster lernen wir einen Mönch kennen, wie immer ganz in Rot, inklusive der Nike Schuhe und Chelsea Kappe. Dieser äußert sich sehr kritisch über die von den Chinesen gebaute Straße: Der Import vakuumverpackter Fertigspeisen und der damit einhergehende Verzicht auf das Produzieren landwirtschaftlicher Produkte sei gesundheitsschädigend; zudem gefährde die Präsenz der Chinesen den buddhistischen Glauben; einige Klöster in Lo Manthang trauten sich bereits nicht mehr, den Dalai Lama am Altar abzubilden. Er hoffe, dass kluge Menschen zur Kooperation mit China in den überwältigenden Nachbarstaat geschickt würden. Das hoffen wir auch...
Tag 11: Heute beginnt das Abenteuer ‚Rückweg‘. Wir haben Sishir überzeugen können, auf der anderen Seite in den Bergen zurückzuwandern, um somit die Straße zu umgehen und in das noch wirklich wilde Mustang einzutauchen. Er kennt diese Strecke jedoch nicht und ist daher sehr aufgeregt. So werden wir promt zu seinen Guides. Wir haben gelernt, dass er kein Fan von Unvorhergesehenem und von Wind ist. Dafür liebt er Abkürzungen, egal wie steil sie sind. Wir bereuen die Entscheidung keinesfalls, denn die Landschaft ist sagenhaft: Die Felsformationen ähneln dem Grand Canyon, in der Ferne blitzen die Schneeberge durch und teilweise laufen wir auf Sand. Verrücktes Mustang! Am Abend in Yara haben wir frankophone Gesellschaft aus Belgien.
Tag 12: Heute ist einer dieser Trekkingtage, die einfach zu schön zum Enden sind. Zuerst folgen uns noch lange die rot-braunen Orgelpfeifen. Diese gehen dann in ockerfarbene Felsen und grüne Plateaus über. In einem Traktor queren wir einen Fluss. Eine Horde Ziegen stürzt sich vor uns den Abhang hinab. Krasse Winde, ganz zu Sishirs Unbehagen, begrüßen uns zur Ankunft in Tangye. Bevor wir am Abend einschlafen können, sind wir damit beschäftigt, Horden von Silberfischen zu erlegen - wir freuen uns auf Zimmer mit richtigen Wänden und Dächern - und nicht diese Insekten und Krabbeltier durchlässigen Holz-/ Lehm-/ Steinkonstruktionen.
Tag 13: Timo hat in der Nacht von von der Decke fallenden Riesensilberfischen geträumt. Der Arme... Leider ist der heutige Tag einer von denen, die nicht enden wollen - und das obwohl er landschaftlich und wettertechnisch genauso sagenhaft ist wie seine Vorgänger. Bereits zu Beginn geht es sage und schreibe vier Stunden bergauf. Leider kommt uns erst gen Ende des unendlichen Anstiegs die Idee, Musik anzumachen. Danach dann weitere 20km(!!!) entlang wunderschöner jedoch Fuß erschlaffender Höhenwege und am Ende ein 1000m tiefer, steiler, windiger und Knie schmerzender Abstieg. Dazwischen keine Hütten, in denen wir eine Suppe hätten zu uns nehmen und unsere Füße hätten ausruhen können. Nur Snickers und Nüsse... Wir fantasieren von Shuttles und fliegenden Ziegen. Nach 11,5 Stunden auf Höhen zwischen 3500-4500m taumeln wir in Chuksang jedoch regelrecht ins Paradies: In unser Zimmer vom vierten Tag mit heißer Dusche und westlichem Klo, richtigen Wänden, einer Decke aus Zement und Steckdosen zum Aufladen sämtlicher Elektronik. Ende gut, alles gut! Mit lokalem Apple Cider stoßen wir mit Sishir auf die erfolgreiche erste Zwischen-Etappe unseres Treks an.
Tag 14: Heute sind wir dankbar für die Straße ins Mustangtal. Mit dem Jeep geht es zurück nach Kagbeni. Die Straße ist so mega schlecht, dass wir doch noch zu unserer Rückenmassage, die wir uns gestern verdient haben, kommen. Den Rest des Tages ruhen wir uns aus, lassen die bereichernden Erlebnisse und die faszinierenden landschaftlichen Eindrücke Mustangs sacken und füllen unsere Kalorienvorräte mit Schokopudding und Timo mit einem Yak-Burger auf.
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