In fünf Tagen durch Turkmenistan


„Der Grenzbeamte hat zugestimmt, euch mit eurem Auto und der Vollmacht in den Iran einreisen zu lassen. Aber wir sollten ihm 100$ dafür zahlen. Ist das ok für euch?“ „Auf jeden Fall!!!“ schreiben wir Hossein erfreut zurück, nachdem die lang ersehnte positive Antwort kommt, die unsere Weiterreise ab Khiva nun endlich besiegelt: Über Nukus werden wir nach Konye-Urgench in Turkmenistan einreisen, das Land in 5 Tagen queren und im Süden bei Ashgabat in den Iran einreisen. Yuhuuuu!!!!! Wir können unser Glück noch gar nicht fassen. 



Baumwollernte in Usbekistan





Bald werden wir die knallbunten überladenen Ladas vermissen...




Die meisten Reisenden, die mit dem eigenen Auto in den Iran reisen, besitzen ein sogenanntes Carnet de passage. Das ist ein Zolldokument, das man bspw. beim ADAC für die vorübergehende zollfreie Einreise in bestimmte Länder beantragen muss. Der Fahrzeughalter hinterlegt dabei eine sehr sehr große Summe Geld, die ihm bei Zurückführen des Autos nach Deutschland ausbezahlt wird. Da unser Fahrzeug nicht in Deutschland zugelassen ist und wir auch vorerst nicht vorhaben, es nach Deutschland zu überführen, konnten wir kein Carnet de passage beantragen. 


Eine andere Möglichkeit, mit dem Auto in den Iran einzureisen, ist daher dessen vorübergehnde Einfuhr mittels eines Iraners wie beispielsweise Hussein X, der gegen eine ebenfalls hohe, nicht erstattbare Gebühr das Auto für 30 Tage auf seinen Namen importiert. Bedingung dafür ist jedoch, dass der Fahrzeugschein auf den Namen des Fahrers ausgestellt ist. Auch das ist bei uns nicht der Fall; wir fahren mit einer mehrsprachigen beglaubigten Vollmacht, die jedoch bislang noch nie jemand sehen wollte. Doch zum Glück lässt sich dieses Problem im Iran mit einer Aufbesserung des Gehalts beheben und dieses eine Mal denken wir einfach nicht weiter darüber nach, sondern freuen uns einfach riesig, mit dem Auto durch den Iran reisen zu können - doch vorher wartet Turkmenistan auf uns.



Einer unserer letzten Übernachtungsplätze in Usbekistan: Eine ehemalige Stadt der Choresmer, deren Reich sich vor 2000 Jahren über Turkmenistan und den Westen Usbekistans erstreckte.








Reisende, die den fünften und letzte Tan-Staat entlang der Route gen Europa besucht haben, schwärmen nicht gerade davon. Sie kritisieren den unfassbar komplizierten und kostspieligen Visaantrag, dessen häufige willkürliche Ablehnung, die Überwachung vor Ort, die öde Landschaft, die schlechten Straßen, die megalomanische seelenlose Hauptstadt und auf Grund der Kürze der Zeit, die dem Individualreisenden überhaupt nur gewährt wird, die Tatsache, an der Lokalbevölkerung vorbeizureisen. Mit relativ wenig Euphorie reisen wir also los und werden überrascht. 






Wurden wir an der usbekischen Grenze noch von arbeitsunwilligen älteren Offizieren verabschiedet, werden wir vor den Toren Turkmenistans von energetischen jungen Soldaten empfangen, die eher an Indiana Jones oder australische Pfadfinder erinnen. Daher sind wir auch nicht allzu beunruhigt, als sie uns vorerst nicht passieren lassen wollen, da wir kein Visum in unserem Pass haben. Die Jungs lächeln nervös, ihre Stimme zittert und wir wiederholen aufmunternd grinsend (der Muskelkater im Gaumen ist mal wieder vorprogrammiert) der Konsul in Dushanbe (Tadjikistan) habe bei der Beantragung gesagt, wir bekämen unser Visum hier an der Grenze ausgehändigt. Wie sich herausstellt, wissen die Scouts draußen noch nicht, was die Angestellten drinnen wissen und wir erhalten -zu unserer großen Erleichterung- beide!!! unser fünftägiges Transitvisum. Noch bevor unsere Körpertemperatur von einem Beamten gemessen wird, begegnen wir zum ersten von unzähligen Malen dem turkmenischen Präsidenten Gurbanguly Berdimuhamedov (im Foto oben rechts, daneben der usbekische Präsident). 






Nach einem ineffizienten, wenn auch gut organisierten Prozess, der drei Stunden dauert und 20 Stempel, 12 Quittungen und 8 sinnlose Einträge des gleichen Inhalts in verschiedene Bücher umfasst (Es lebe die deutsche Bürokratie!!!), weist uns Gurbanguly den Weg in sein Land. Den Tracker, den wir im Auto installieren „sollen“ und eine Karte, in der unsere angegebene Route eingezeichnet ist und von der wir nicht abweichen „sollen“, ignorieren wir und fahren los. Mit an Board ist Ngan, eine vietnamesische Tramperin Anfang 20, die uns an der Grenze angesprochen hat.










Von Wegen kein Kontakt zur Lokalbevölkerung. Zu dritt freuen wir uns über Tee mit Bauern, die uns bei unserer morgigen Waschzeremonie an einem Fluss aufgabeln und zu sich in den Bauwagen bitten, und haben Spaß beim Selfieknipsen mit Familien im historischen Konye-Urgench, der einstigen Hauptstadt von Choresmien. Die turkmenischen Frauen sind die Schönsten und Elegantesten bislang; viele von ihnen tragen lange blumige Kleider und pompöse Kopfbedeckungen. Und das Lächeln der Menschen... Es nimmt uns ein und wir wünschten uns, länger als fünf Tage in Turkmenistan bleiben und das Land ausgiebig entdecken zu können. 


















Ungeachtet der Überwachung, derer wir in der Hauptstadt noch Zeuge sein werden als wir nach einem Foto eines Gemüsestands von Polizisten in Zivil befragt und zurück zum Auto eskortiert werden, knipsen wir in den ersten zwei Tagen ausgelassen Fotos - auch von der Landschaft, die zwar eintönig aber ganz nach unserem Geschmack ist. 
















Mehr als 500 Kilometer fahren wir durch die vierte Wüste auf der Reise, die Karakum, die 95% der Fläche Turkmenistans einnimmt. Gut, dass das Benzin so mega günstig ist: Turkmenistan gewinnt mit 0,07 Cent pro Liter den Rekord des günstigsten Benzins auf unserer Reise. Dies ist unter anderem der Tatsache geschuldet, dass wir beim Geldwechsel auf dem Schwarzmarkt vier mal mehr Manat erhalten als beim Abheben mit der Visakarte, wo der offizielle Kurs greift. Da fällt es nicht allzu schwer, über die schlechten Straßen hinwegzusehen und den Höllenritt in vollen Zügen zu genießen. Und am besten gefallen hat es uns am Tor zur Hölle selbst. 








Der Gaskrater von Derweze ist vor 48 Jahren entstanden, als Geologen während Bohrungen eine mit Erdgas gefüllte Höhle fanden, die in sich zusammenbrach. Um die Freisetzung giftiger Gase zu vermeiden, zündeten sie das entstandene Loch an, in der Hoffnung, dass es ein paar Tage später bereits ausgebrannt sein würde. Heute brennt es immer noch. 






Unseren Poputschik parken wir am Kraterrand und genießen die wohltuende Wärme, die von den Flammen ausgeht und sich über die kalte Wüstennacht legt. Neben Ngan gesellt sich hier ein Australier zu uns, der seiner Herkunft alle Ehre macht und uns zusätzlich zum Feuer mit Whiskey und fake Cola wärmt. An Schlaf ist in dieser Nacht kaum zu denken, denn die ganze Nacht über erhellen die lodernden Flammen das Innere unseres Busses und gelegentlich schaut ein Chinese bei uns vorbei, der hier gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt, Foto vom Gaskrater und Foto von campenden bzw. zeltenden Abenteurern ;-)


Doch der Gaskrater birgt nicht nur enormes touristisches Potential. Im August diesen Jahres kamen Gerüchte über den Tod des ansonsten so omnipräsenten Präsidenten Turkmenistans auf, der wohl für einige Wochen nicht im Fernsehen erschienen war. Als Beweis seiner ungebrochenen Stärke zeigte das Staatsfernsehen die Luftaufnahme eines Autos, welches Donuts. bzw. Kreise um den Gaskrater fuhr und proklamierte enthusiastisch: „Our president is alive“ (https://time.com/5648682/john-oliver-turkmenistan-cake/). Es hätte allerdings jeder in dem Auto sitzen können. Timo lies sich nicht die Gelegenheit nehmen, ebenfalls Donuts am Kraterrand zu fahren, ganz nach dem Motto: Timo is alive! Das Video dazu könnt ihr am Sonntagabend in den Nachrichten sehen.
















A propos Chinesen... Der Kontrast von der Wüste und dem Höllenfeuer zur Hauptstadt hätte kaum größer sein können. Ashgabat ist unübersehbar eine Stadt nach chinesischem Vorbild - nur krasser: Weiß gekalkte uniforme Hochhausbauten und teils 10-spurige leere Autobahnen werden ununterbrochen von Putzkolonnen gesäubert, bepflanzt und bewässert. Gurbanguly, der uns an jeder Ecke in seiner Stadt begrüßt, liebt die Farbe weiß, was wohl seinem Beruf als Zahnarzt geschuldet ist und Ashgabat ähnelt tatsächlich einer sterilen Zahnarztpraxis. Die protzigen Regierungsgebäude sind ausnahmslos in weißem Marmor aus Charara gehalten; ALLE Häuser sind weiß und erlaubt sind darüber hinaus (fast) nur weiße Autos; sogar die Busse und die Müllabfuhr sind weiß - bei Ausländern scheint Gurbanguly eine Ausnahme zu machen, denn unseren grünen Bus dürfen wir problemlos entlang der Prachtstraßen spazieren fahren; allerdings mussten wir ihn vorher einer Autowäsche unterziehen. 












So vernarrt wie Gurbanguly in sich selbst und in die Farbe weiß zu sein scheint, liebt er auch Pferde. Vom britischen Komiker John Oliver wissen wir, dass Gurbangulys Büro voller Pferdedetails steckt (https://time.com/5648682/john-oliver-turkmenistan-cake/). In der Stadt werden Pferde mehrfach auf Denkmälern geehrt und nicht nur hinter verborgenen Türen sind die Vierbeiner Dekoelement. 










Sowieso wird hier alles geehrt und gefeiert; für alles wird ein Denkmal erbaut, denn mit irgendwas muss die Stadt ja gefüllt werden. So reihen sich also das Denkmal der Gesundheit, das Denkmal des Wohlstands, das Denkmal der Wissenschaft, das Denkmal der Sterne, das Denkmal der Wiedergeburt, das Unabhängigkeitsdenkmal,... in die Reihe vieler Pferdedenkmäler ein. 








Doch eigentlich feiern wir hier immer nur zu dritt (sogar das größte Indoor-Riesenrad wird nur für uns in Gang gesetzt) - und vor allem feiern wir vielmehr die Tatsache, von den Monumenten Bilder machen zu dürfen, denn das Fotografieren von Gebäuden ist in Ashgabat verboten. An jeder Ecke lauern daher Polizisten und bitten uns nicht nur einmal während unseres Stadtspaziergangs um das Löschen eines Fotos. Wir fühlen uns witzigerweise ein bisschen in die Zeit zurückversetzt, in der wir die chinesische Trillerpfeifen-Polizei herausforderten, indem wir uns in den  chinesischen Nationalparks gegen schwachsinnige Regeln auflehnten.



Bei Nacht wird es in der Stadt erstaunlich bunt und auch die prunkvollen Moscheen sind in ihrem Inneren das reinste Wohlfühlparadies - gut besucht sind sie deswegen jedoch noch lange nicht. 














In der Selbstdarstellung des Landes wird vor allem der Neutralitätsbogen (im Bild oben) gerne positiv hervorgehoben, mit dem sich Turkmenistan rühmt, neutral gegenüber anderen Ländern zu sein. Auf uns wirkt es eher symbolisch für die Abschottung Turkmenistans vor dem kritischen Ausland, welches seit Jahren für die Einhaltung von Menschenrechten im Land kämpft, denn laut Demokratieindex der britischen Zeitschrift The Economist belegte Turkmenistan 2018 Platz 162 von 167 Ländern und gehört damit zu den am autoritärsten regierten Staaten der Welt. 



Alles ist Prunk und Show; hier das Mausoleum des ehemaligen Präsidenten, Turkmenbashi.






Anlass zum Feiern haben hier demnach nur sehr wenige Menschen, was wir in der Hauptstadt immer deutlicher spüren. Der positive Eindruck, denn wir zu Beginn gewonnen hatten, legt sich nach und nach. Die lächelnden Menschen und die ausgelassene Stimmung sind längst verschwunden. Vor allem Ashgabat wirkt wie leer gefegt. Die Menschenleere inmitten des Größenwahnsinns ist bedrückend und am Ende sind wir nicht mehr so traurig, am fünften Tag ausreisen zu müssen. 






An der Grenze geben wir unseren unbeschriebenen Tracker kommentarlos ab, werfen einen letzten Blick auf Gurbanguly - wie könnten wir ihn und seinen Hund auf seinem Pferd je vergessen? - und reisen innerhalb von wenigen Kilometern vom Überwachungsstaat Turkmenistan in den Gottesstaat Iran. Selten waren wir so gespannt, was uns im nächsten Land erwartet... Mehr dazu dann in ein paar Wochen! Letzte Grüße aus Sowjetistan! 


Hanna und Timo







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