Zurück auf die Seidenstraße



Immer wieder freitags zur Mittagszeit ist es das Schönste, sich einen Platz in einem Teehaus zu suchen, es sich auf einem Tapchan, einer Sitzecke auf Stelzen, bequem zu machen, kannenweise Schwarztee zu Centbeträgen zu trinken und dabei die Szenen zu verinnerlichen, die sich vor uns ausbreiten. Junge Männer mit Gebetsteppichen unter dem Arm, deren Muster mindestens genauso vielfältig sind wie die Muster auf ihren Tupi, der trad. tadjikischen Kopfbedeckung, eilen zu dieser Zeit in Scharen strammen Schrittes zum Freitagsgebet. Frauen mit farbenfrohen ungezwungenen Kopftüchern, die auf vielfältigste Art und Weise gebunden sind und das Haar mal mehr mal weniger bedecken, kommen vom oder gehen zum Markt, denn der Bazar ist in Zentralasien noch immer der Ort, an dem man einfach alles in Mengen findet, vom täglichen Bedarf über den Hochzeitsschmuck zur Elektronik,  und der nur mit einigen wenigen Geschäften, wie man sie bei uns findet, konkuriert. 



Der Bazar bzw. Bozor, wie er in Tadjikiston heißt; hier in Panjikent.







Brotstempel






Lastwägen und Autos karren bergeweise Melonen zum Markt, Woche um Woche, denn ihre Zahl scheint einfach nicht abzunehmen - und das obwohl auch wir fleißig vor allem Wassermelonen verschlingen. Hinter den Marktständen arrangieren die Verkäufer geduldig immer wieder ihre Obst-, Gemüse- und Gewürzpyramiden dort wo Käufer mittlerweile Granatäpfel, Feigen, Trauben oder Äpfel entnehmen; längst vorbei ist die Saison, zu der die Marktstände vor Kirschen, Aprikosen, Himbeeren und Nektarinen nur so überquollen. Inmitten des Gewirrs aus neuen Chevrolets und der deutschen Abfrackprämie fährt gelegentlich ein Eselkarren beladen mit frisch geerntetem Mais oder Stroh an uns vorbei und lässt die Zeit und das Chaos für einen kurzen Moment scheinbar stillstehen.





Mit leeren Händen gehen wir auf den Markt und kommen beschenkt mit drei Melonen und einer Einladung zum Abendessen wieder. Unseren Chai im Teehaus durften wir wohlgemerkt auch nicht selbst bezahlen. 








Es tut gut, einfach nur da zu sitzen, denn in der letzten Woche waren wir ständig in Bewegung. Gemeinsam mit Julia und Jonathan, den beiden deutschen Langzeitreisenden, die wir vor drei Wochen auf dem Pamir aufgegabelt und seitdem nicht mehr haben gehen lassen, waren wir nördlich von Dushanbe vier Tage im Fangebirge rund um die türkisfarbenen Alaudin Seen trekken. 














Bis zu unserem Wiedersehen in Usbekistan verabschieden wir uns von Julia und Jonathan nach nunmehr einem Monat gemeinsamen Reisens. Zu zweit fahren wir für weitere drei Tage zu den Sieben Seen, einer im Gegensatz zu der menschenleeren Gegend um die Alaudin Seen, mit wunderschönen Bergdörfern bespickten Region, in der die Menschen vornehmlich in Lehmhäusern wohnen und einem ganz traditionellen Leben nachgehen.




















Zurück im Teehaus brummt der Magen. Meistens gibt es dann Plov, DAS zentralasiatische Gericht schlechthin; doch im Norden Tadjikistans müssen wir nicht der Reisdiät anhängen. Hier gibt es Kurutob, in Yoghurt eingelegtes Fladenbrot, das mit Tomaten, Gurken und frischen Kräutern aus einer Holzschale gegessen wird und eine willkommene vegetarische!!! Abwechslung zur fettigen Reispfanne ist.





Timo erweitert seine Hutsammlung in Tadjikistan um eine weitere Kopfbedeckung. Wer sich also demnächst Mal als Uigure, Kirgise, Tadjike oder Pamiri verkleiden möchte, komme gerne zu seinem Hutverleih. 




Es ist immer wieder spannend zu beobachten, wie sich die Moderne auf vielfältige Weise auch in das traditionelle tadjikische Leben einschleicht, wie sich beispielsweise der Hutgeschmack der tadjikischen Jugend schon längst in Richtung Baseball-kappen verschoben hat und wie auch hier Jung und Alt nach Smartphonebesitz streben und teilhaben wollen an einer Welt, die immer kleiner wird. Candycrush zockende Marktverkäufer, Gangam Style hörende Schulkinder, witzige Katzenvideos schauende Babuschkas und Instagrambilder postende Jugendliche - keine Wüste und kein Gebirge hindern heutige Popkultur an ihrer oft sekundenschnellen Ausbreitung; anders als früher, als Wissen und Kultur so langsam reisten wie der Mensch es tat und als Natur eine natürliche Grenze zwischen den Kulturen bildete. 





So wie das Reisgericht Plov, begleiten uns auch Samsas (mit Fleisch gefüllte Teigtaschen) seit Monaten auf unserer kulinarischen Reise durch Zentralasien.




Beim Anblick der älteren Männer, die hier zum Schutz gegen die für örtliche Verhältnisse herbstliche Frische lange Mäntel tragen, und mit ihren Gehstöcken, Turbanen und weißen langen Bärten wie Zauberer aussehen, fühlen wir uns wie in einer anderen Welt - ein Gefühl, das bei unserer Rückkehr auf die Seidenstraße und nach Usbekistan noch verstärkt wird. 




Ein letztes Mal winkt uns Tadjikistans allgegenwärtiger Präsident Emomali Rahmon aus einem der vielen Blumenfelder zu, in die er so „professionell“ per Photoshop montiert wurde, und wir sind zurück in Usbekistan, dem Land der Millionäre und des Wechselgeld-Kaugummis.








Unser erstes Ziel in Usbekistan ist Samarkand, die einst größte und prächtigste Stadt entlang der Seidenstraße. Wohl wissend um das Ausmaß der Restauration aller erhaltenen historischen Bauten, ihrer aufwendigen Malerei und detailreichen Mosaike, sind wir fasziniert von den Einblicken in die Vergangenheit, die wir hier erhalten.










Schon Alexander der Große war von der Schönheit der Hauptstadt des Sogdenreichs überwältigt und das war 329 vor Christus. Gelegen zwischen Indien, Persien und China wechselte Samarkand nach Alexanders Eroberung häufig seine Besitzer: die Türken, die Araber, die Perser, die Samaniden, die Karakhaniden, die Seldschukken, die Choresmer - sie alle waren hier und haben ihre Spuren hinterlassen; bis schließlich Ghingis Khan 1220 alles zerstörte. Erst Ende des 14. Jahrhundert verhalfen Timur und sein Enkel Ulugbek Samarkand zu noch größerer Blüte. Obwohl es die Russen waren, die Samarkand Ende des 19. Jahrhunderts wiederbelebten, ist es Timur, der in Usbekistan Heldenstatus genießt, denn wie die Sovietzeit gehören auch die sovietischen Führer mittlerweile der Vergangenheit an und sind vornehmlich auf dem Trödelmarkt zu finden. 




























Wie auch Samarkand zieht uns Buchara in seinen Bann: eine Altstadt mit alten Karawansereien, Mausoleen, überdachten Bazaren und einer noch praktizierenden Koranschule sowie dem Kailon Turm, der einst zum Vollstrecken der Todesstrafe zum Einsatz kam als Buchara die Hauptstadt des Khanats war. 




















Auf den lokalen Märkten entkommen wir für einen kurzen Moment den zurückhaltenden Souvenirverkäufern, den grauhaarigen Touristenscharen, die mit einem Stöpsel im Ohr allzeit Hintergrundwissen über die Bauten empfangen, den frisch vermählten Hochzeitspaaren, die die Medrassen als Kulissen für ihre Hochzeitsbilder nutzen, und den unermüdlichen usbekischen Touristen, die stundenlang Selfies schießen und Kussmünder in die Kamera werfen. 














Bevor wir Turkmenistan, das letzte und wohl absurdeste Transitland dieser Reise ansteuern, feiern wir das Erreichen unseres westlichen Punktes bislang: Die Oasenstadt Khiva. Um von Buchara westwärts nach Khiva zu reisen, queren wir die nunmehr dritte Sandwüste, die Kyzylkum (neben der Wüste Gobi und der Taklamakan in China), - und wohlgemerkt nicht die Letzte - auf unserer Reise entlang der Seidenstraße. Wir stellen uns vor, wie die einstigen Karawanen auf ihrem langen und anstrengenden Weg durch diese widerspenstige und trockene Ebene bereits aus der Ferne die türkisblauen Kuppeln der Minarette und Moscheen Khivas gesehen haben müssen, die damals wie heute u.a. Auffüllen der (Wasser)vorräte und Schutz vor Stürmen verhießen und die Moral haben höher schlagen lassen.






















Es fällt uns schwer, uns von der architektonischen Schönheit des usbekischen Westens loszureißen und unsere Reise ins Ungewisse fortzusetzen. Noch steht nicht fest, ob wir mit dem Auto, das ja nicht auf unseren Namen registriert ist, in den Iran dürfen. Doch wenn alles klappt, werden wir unsere Zeitreise nach einem fünftätgigen Transit durch Turkmenistan im ehemaligen Persien fortzusetzen. Wir sind gespannt, wie die Reise ab hier weitergeht und schicken euch liebe Grüße! 




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