Ohne Pannen über den Pamir
Hanna like Elf!!!
Häää???
Hanna like Legolas!!!
Häää???
Hanna no meat, like Legolas!!!
Aaaaaaahhhhhhh!!!! Yes!
Wäre die Autotür nicht verschlossen gewesen, ich wäre vermutlich vor Lachen rausgefallen, denn meist reagieren die Menschen im zentralasiatischen Kulturraum auf meine fleischlose Ernährung eher mit Augenbrauenrumpfen oder pantomimischen Darstellungen von Schwäche als mit Parallelen zu Tolkiens Herr der Ringe. Nicht so Nourik. Kennengelernt haben wir den Deutschlandliebhaber unseren Alters in einer Werkstatt auf Oshs Machina (=Auto) Bazaar, wo er seinen Mercedes - was sonst - und wir unseren VW reparieren ließen. Nachdem er uns seine Liebe zu Angela Merkel, Johann Sebastian Bach und deutschen Autos gestanden hatte, tauschten wir wie so oft Facebook-Kontaktdaten aus und verewigten unser Treffen in einem Selfie. Normalerweise verlaufen sich solche Kontakte im Sand bzw. steigern allerhöchstens auf Ewigkeit die Likes für vom Urlaub gepostete Bilder. Nourik oder besser gesagt Gottlieb Daimler - wie sollte man sich auch sonst in einem sozialen Netzwerk nennen? - lud uns noch am gleichen Tag zum Abendessen am Folgeabend zu seiner Familie ein.
Am kommenden Abend holte uns Gottlieb Daimler also in seinem Mercedes ab und entschuldigte sich vorab für seine spärlichen Englischkenntnisse; den Rest des Abends würde sein Bruder auf Englisch managen. Im Auto müssten wir jedoch mit ihm Vorlieb nehmen. Kein Problem, denn Kommunikation ohne bzw. mit nur wenigen Worten sind wir ja nur zu gut gewohnt. Nach der Vegetarierepisode ging es also weiter mit einer Aufzählung und Bewertung von europäischen Ländern (Vikings - good!), Schauspielern (Russel Crowe - wow!), Automarken (Hyundai - plocha!, BMW - harascho!, Toyota - bad!), Fußballvereinen (Manchester - not good!, BVB - super! My dog Mario Götze!), Tieren (cats - niet! dogs - yes!),... Nach der halbstündigen Autofahrt und einem langen Gespräch ohne Verben oder sonstiger grammatikalischer Regeln zweifelten wir unsere Daseinsberechtigung als Fremdsprachenlehrer bzw. den Sinn des Fremdsprachenlernens im Allgemeinen gänzlich an, doch zum Glück blieb uns nicht allzu viel Zeit zum Nachdenken.
Grüner oder schwarzer Chai wird in Zentralasien zu jedem Essen gereicht.
Bei Nourik erwartete uns allerhand Fleischiges wie bspw. Beshbarmak, ein Mix aus Pferde-, Rind-, und Lammfleisch MIT Knochen, dazu Nudeln und Zwiebeln (Kirgistans Nationalgericht) und, ganz zu Legolas‘ Freude, vielerlei Vegetarisches. Und als wäre die Einladung an sich nicht schon genug, wurden wir zum Abschied nach kirgisischem Brauch reich beschenkt: Timo erhielt den typisch kirgisischen Hut, Kalpak genannt, und ein Hemd und ich erhielt ein Tuch mit dem in Zentralasien weit verbreiteten Blumenmuster, welches den Frauen bei Aufbruch leicht über den Kopf gelegt wird. Und da die Reperatur unseres Autos am Ende doch etwas länger in Anspruch nahm als erwartet, blieb uns in Osh noch mehr Zeit, um in den Werkstätten weitere Facebook- Freunde bzw. Instagram-Abonennten zu sammeln und dem Viehmarkt einen Besuch abzustatten, wo uns die kirgisischen Männer in ihren Spitzhüten weit mehr faszinierten als das feilgebotene Vieh.
Maida Manti, ein richtiges vegetarisches Gericht: mit Kartoffeln gefüllte Maultaschen, getoppt mit Zwiebeln.
Doch schließlich heißt es Abschiednehmen von Osh und den Menschen, die wir im Laufe der Zeit, die wir dort im Juni und im August verbrachten, kennengelernt haben: von Aksdamai, einer jungen Kirgisin Mitte 20, Übersetzerin und Reiseführerin für ein Schweizer Reiseunternehmen, die von einer Hochzeit mit dem Mann ihres Herzens träumt, doch die von ihrer Tante angehalten wird, sich mit der Männersuche zu beeilen, bevor ihr Wert auf dem Heiratsmarkt weiter sinkt; von Elya, der Besitzerin unseres Hostels, die sich entgegen des Rats ihrer Mutter dazu entschlossen hat, sich zu verschleiern, da sie hofft durch eine derart strenge Praktik des Islams ihren verstorbenen Vater vor dem Höllenfeuer zu bewahren (da während der Sowjetzeit den Frauen das Tragen des Kopftuchs verboten war, gibt es noch immer viele Frauen, die nicht wieder dazu übergegangen sind) und von Zakkir, einem konversationsfreudigen 16-jährigen, der während der dreimonatigen Ferien als Kellner jobbt und wie viele junge Kirgisen hofft, bald nach Deutschland kommen zu können.
In der letzten Augustwoche fahren wir also dem zentralasiatischen Dach der Welt entgegen. Die Landschaft, die vor drei Monaten saftig grün war als wir aus China in Kirgistan ankamen, ist nun vetrocknet; die bunten Blumenwiesen sind schon lange verblüht. Vorboten des nahenden Winters sind auch die Lastwägen, die auf ihrem Rücken die abgebauten Jurten von der Sommerweide zur Lagerung ins Tal transportieren; daher kommen uns sehr viele Hirten mit ihren Herden auf dem Marsch zurück in die Dörfer entgegen. Die Weizenernte ist in vollem Gange. Großzügig überladene Laster balancieren Heuballen die löchrigen Straßen entlang und die Kornspeicher der Häuser quillen vor goldgelbem Viehfutter nur so über. Nach einer Woche Stadt sind wir natur- und bewegungshungrig und nur noch die immer größer werdenden eisgepanzerten Berge des Pamirs übertreffen unsere Begeisterung. Bevor es für uns in den tadjikischen Pamir geht, verbringen wir auf kirgisischer Seite zu Fuße des Peak Lenin ein paar Akklimatisierungstage auf 3500m.
Gar nicht mehr so weit bis Deutschland...
Aus den ursprünglich drei geplanten Wandertagen werden schließlich sechs Tage, während derer wir viele fast doppelt so alte Reisende mit doppelt so großen Autos kennenlernen, die uns einer nach dem anderen mit flambierten Bananen, Butterbrot, Senf, italienischem Kaffee verwöhnen und mit jeder Menge Reisetipps und Inspiration versorgen.
Marilina und Giorgio aus Italien
Conny und Thomas aus Deutschland
Pascalina aus Frankreich mit ihrem italienischen Mann, Angelo
Etwas mulmig ist uns zumute, als wir dem Wanderparadies Kirgistan schließlich den Rücken drehen und dem kleinsten und ärmsten Land der ehemaligen Sowjetunion, zu 90% aus Bergen bestehend, entgegenfahren. 1267km führen von Saritash in Kirgistan nach Dushanbe in Tadjikistan. Einst militärischen Nutzens zieht der Pamir Highway heute abenteuer- und trekkingbegeisterte Reisende, hartgesottene Radfahrer und chinesische Trucks an, die die wenigen im Pamir lebenden Menschen (nur 3% der Gesamtbevölkerung), die Touristen und den Rest des Landes mit Plastikwaren versorgen. Unser Poputschik quält sich in die immer höher werdende Bergwelt über die immer beschwerlicher werdenden Straßen. Regelmäßige Anfahrpobleme und ein damit verbundener unangenehmer Schwefelgeruch beunruhigen uns nicht wenig, denn Werkstätten geschweige denn Ersatzteile wird es hier erst einmal keine geben. Wir drücken die Daumen...
Blick über den Karakul See
Am Morgen nach unserer ersten Nacht auf über 4200m sind unsere Fensterscheiben von innen gefroren. Wir zögern, doch der Glühwein, den wir im kirgisischen Globus erstanden haben, kommt vorerst nicht zum Einsatz. Unsere Nutella müssen wir an diesem Morgen schneiden und unsere Kühlbox dient von nun an als Frostschutz für Obst und Gemüse, denn auch das ist in dieser Höhe kostbar. Ein Großteil des Pamirs ist wüstenhaft; hier wächst so gut wie nichts. Dennoch sind die Berge unglaublich farbenfroh und wann immer wir ein Fleckchen Grün finden, genießen wir es in vollen Zügen. Im Kontrast dazu stehen die weißgehaltenen ehemaligen Außenposten der UdSSR wie bspw. Murghab, wo wir uns für eine weitere Woche ohne Versorgungsmöglichkeiten auf dem Containerbazar mit Essen eindecken und tanken, denn auch gutes Benzin ist im Pamir rar.
Auf Rat eines anderen Deutschen nehmen wir ab Murghab einen Umweg durch den Zorkul Nationalpark, wo wir mit noch wilderer Natur, Abgeschiedenheit, Weite, Stille und Menschenleere, als im Pamir eh schon herrschen, konfrontiert werden. Eigentlich ein Traum, doch mit jedem Kilometer, den wir uns weiter von der „Hauptstraße“ entfernen, berechnen wir die Wasser- und Essensrationen neu, die wir schultern müssten, sollten wir liegen bleiben und zu Fuß Hilfe holen müssen. Die Straßen werden immer schlechter und mit Spielstraßengeschwindigkeit und höchster Konzentration holpern wir über glücklicherweise ausgetrocknete Flussbetten mit großen Kieselsteinen, über Furchen und über spitze Steine, immer in der Hoffnung nicht stecken bzw. liegen zu bleiben. Die Angst, bei einer Panne auf uns allein gestellt zu sein ist fast unerträglich und wir wollen nur raus aus der Eiseskälte, zurück auf die Hauptstrecke, wo wir am Tag wenigstens mit einer paar Autos rechnen können.
Unsere Zuversicht steigt mit jedem Meter, den die schneebedeckten Berge des Hindukusch näher rücken, denn in ihre Nähe, in den Wakhan Korridor, an die tadjikisch-afghanische Grenze wollen wir. Im Wakhan Korridor streckt sich zur einen Seite des Panj Flusses Afghanistan wie ein Arm zwischen Pakistan und Tadjikistan aus. Diese schmale Pufferzone, die manchernorts kaum mehr als 20km breit ist, ist ein Endprodukt des großen Spiels, des territorialen Wettlaufs zwischen dem russischen Zarenreich und Britisch-Indien Ende des 19. Jahrhunderts. Auf beiden Seiten des Flusses leben Pamiri bzw. Wakhi, die wohl gastfreundlichsten Menschen, denen wir je begegnet sind. Egal ob Einladungen zum Tee, Chöre „Hello“-rufender Kinder oder Trauben winkender Männer und Frauen, die Willkommenskultur der Pamir fasziniert uns jeden Tag aufs Neue. Wie bereits in Kirgistan nehmen wir auch hier wieder Kontakt zu Einheimischen auf, indem wir Taxi spielen; dabei nehmen wir auch gerne mal eine halbe Schulklasse mit.
Die Stupa von Vrang, ein Zeugnis der weitläufigen Ausbreitung des Buddhismus entlang der Seidenstraße.
Nicht ganz so erfreulich sind die Straßenbedingungen, die uns auch hier einige Nerven kosten. Bodenrillen, die das Auto lauter rattern lassen und die für Geduld und Gehör eine größere Herausforderung sind als indische Hupen, hindern uns am Vorankommen. Mit russischem Dieter Bohlen, usbekischer Hochzeitsmusik und arabischem Pop versuchen wir das Klappern zu übertönen, doch es gibt Tage, an den wir kaum mehr als 30km schaffen, womit wir langsamer sind als mancher Radfahrer. Ähnlich langsam wie wir sind Julia und Jonathan, zwei Tramper aus Berlin, die wir im Wakhan Tal aufgabeln, und mit denen wir letzten Endes zwei Wochen Spaß, Ängste, Staunen, Gespräche, Flussbäder, Freude, Essen, Abwasch, Schlaflager, Krankheit und Begegnungen teilen und ohne die wir vielleicht immer noch im Pamir stecken würden - wer weiß.
Die Milch im Pamir kommt übrigens aus Kabul.
In Dasht gabelt uns Manucher auf. Er ist Englischlehrer und hat ein Jahr in Toronto studiert. Bei selbstgebackenem Brot, hausgemachten Marmeladen und Tee quatschen wir ein paar Stunden über Allah bzw. den Aga Khan, denn im Wakhan Korridor sind die meisten Menschen Ismailiten, und die Welt.
Gemeinsam fahren wir hinunter in den fruchtbaren und weiten Wakhan Korridor, wo die Tage immer wärmer, die Landschaft immer grüner bzw. goldener und das Nahrungsangebot immer reichhaltiger werden. In Chorugh, der ersten „richtigen“ Stadt kommen wir sogar in den Genuss westlicher Konsumgüter, bevor wir zu einer Wanderung ins Jizev Tal aufbrechen, einem wahren von Autos unzugänglichen Paradies.
Das Innbild tadjikischer Gastfreundschaft
Bitte genau hinsehen!!!! ;-)
Hinter Chorugh wird das Tal abermals sehr eng. Über uns ragen Steilwände gen Himmel und lassen uns klein und verletzlich fühlen. Die Straße schmiegt sich abenteuerlich an den Abhang und unter uns tost der mittlerweile reißende Panj. Auf der anderen Seite des Flusses bewundern wir die schier unberührten afghanischen Dörfer, in einem Land, welches zum Greifen nah und doch so fern ist. Wir können erkennen, dass die Frauen verschleiert und die Männer in Shalwar Kameez gekleidet und mit traditioneller Kopfbedeckung versehen sind und träumen davon, diese Menschen zu treffen. Und das tun wir schließlich auch, auf dem Cross-Border-Markt in Kaleikum, wo afghanische Händler immer samstags - sofern die polititsche Lage stabil ist - auf tadjikischer Seite hiesige und chinesische Waren kaufen können, um sie auf der anderen Seite weiterzuverkaufen. Drei Mal dürft ihr raten, wo wir am Liebsten bald mal hinreisen möchten :-)
Die letzten 200km „rasen“ wir auf einer von den Chinesen perfekt geteerten Straße in einer Höhe von mittlerweile nur noch 600m bei brütenden 36 Grad mit Klimaanlage Dushanbe entgegen. Ohne Pannen und mit nur einem nicht erwähnenswerten Platten (und den an einer Tankstelle, wo der Tankwart auch noch Mechaniker war) haben wir den Pamir gemeistert - ein Meilenstein - auch wenn wir Deutschland dabei nicht wirklich näher gekommen sind. Die wohl höhenbedingten Startschwierigkeiten unseres Autos sind passé und den Schwefelgeruch vermissen wir fast schon, erinnert er uns doch an einen wunderschönen, wenn auch manchmal sehr herausfordernden 4-wöchigen Roadtrip durch den Pamir.
Liebe Grüße aus dem Pamir senden euch Timo, Hanna und Legolas.
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