Mit großem Lächeln durch Usbekistan
Aus der Ferne schallt der Ruf des Muezzins zum Sonnenuntergangsgebet, die Weizenfelder, die soeben noch goldgelb erstrahlten, haben ihre Farbe verloren und langsam legt sich die glühende Hitze, die die Tage im Ferganatal im fruchtbaren und dicht besiedelten Osten Usbekistans bestimmt. Wir sind gerade dabei, unsere Campingstühle neben unserem Van, den wir für diese Nacht auf einem Feldweg geparkt haben - wilde Natur ist hier nur schwer zu finden - aufzustellen und uns ans Kochen zu machen, als Zoir und Asnuddin, zwei Männer Mitte 30 bei uns vorbeischauen.
Unsere Russischkenntnisse reichen gerade aus, um uns vorzustellen und um den beiden zu erzählen, dass wir erst vor ein paar Tagen aus Kirgistan eingereist sind, dass wir nun zuerst den Osten Usbekistans, dann Kasachstan, anschließend Kirgistan und Tadschikistan (dann hoffentlich schneefrei auf über 3000m) und schließlich nochmal Usbekistan bereisen werden. Wir erklären zudem, dass unser Auto (maschina) auch unser Zuhause (doma) ist und versichern, dass wir in der Zukunft Kinder haben werden - alles andere würde die Usbeken noch mehr verwundern als die bloße Tatsache, dass ein verheiratetes Pärchen Anfang 30 noch keine Kinder hat. Die beiden reden weiter und setzen ein großes Lächeln auf, so wie es uns in Usbekistan (meist vergoldet) überall entgegengebracht wird, und sind uns auf Anhieb sympathisch. Auch wir lächeln, denn wir verstehen nun nur noch Bahnhof und plötzlich kommt Zoir eine Idee. Seine Frau, die Englischlehrerin an der Dorfschule ist, kann sicherlich noch mehr aus uns rauskitzeln und uns den einen Satz übersetzen, den die beiden immerzu wiederholen, den wir jedoch nicht richtig verstehen: „Please come to my house, sleep at my house!“
Ein großes Lachen huscht über unser Gesicht. Ummm, ok. Spasiba! Rahmat! (Danke auf russisch und usbekisch, denn wir sind uns nie ganz sicher, welche Sprache die angemessenere ist.) Wir packen die Campingstühle also wieder ein, verstauen unsere Vorräte und unseren Kocher und fahren hinter Zoir her. Bei ihm Zuhause angekommen, haben wir kaum Gelegenheit, seine Frau, Diloram, die bis über beide Augen strahlt, zu begrüßen, so schnell ist unser Camper von den beiden kleinen Töchtern eingenommen. Unsere selbst genähten Gardinen werden auf und zugezogen, die Türen geknallt, das Dachfenster aufgekurbelt, die Bücher und Gewürze aus dem kleinen Regal geholt und unser Bilderbuch begutachtet. Erst der Aufbruch zum üppigen Abendessen in einem Restaurant lockt die beiden wieder aus dem Auto, nun nicht mehr ganz so strahlend, und gibt uns die Gelegenheit, die Erwachsenen näher kennenzulernen. Diloram ist erwähnte Englischlehrerin, schwärmt von „Titanic“ und träumt davon, eines Tages nach England zu reisen. Zoir ist Mechaniker und hat seine eigene Werkstatt. Asnuddin, wie auch seine Frau, arbeitet als Arzt. Damit sind die beiden Familien mit berufstätigen Frauen alles andere als die Norm in Usbekistan, einem sehr konservativen islamisch geprägten Land, in dem die Religion seit Zusammenbruch der Sowjetunion erneut eine sehr große Rolle spielt und die Gesellschaft maßgeblich prägt.
Wir bleiben schließlich zwei Nächte, da ein Abend und ein Tag nicht ausreichen, um die befreundeten Familien im Dorf sowie die Eltern der beiden kennenzulernen, so viel Palao (frittierter Reis mit Gemüse und Hammelfleisch - das usbekische Nationalgericht) und Wassermelonen in uns aufzunehmen, bis wir fast platzten und die Schule zu besuchen und eine Englischsstunde mit den usbekischen Kolleginen abzuhalten. Dabei fällt uns mal wieder mit Schrecken auf, wie auswendig gelernt die Antworten der Kinder sind und wie wenig individuell das Englischlernen und die Schulbildung im Allgemeinen sind. Anders als bei uns ist das Ziel von Schule nicht Meinungsbildung und Persönlichkeitsentfaltung, denn Usbekistan war bis 2016 unter Islam Karimov, dem Begründer der usbekischen Unabhängigkeit, eine der autoritärsten Diktaturen der Welt. Seitdem der neue Präsident amtiert, hat sich jedoch vieles verbessert. Usbekistan hat seine diplomatischen Beziehungen zu den umliegenden Ländern und der westlichen Welt verbessert, was zur Folge hat, dass die Reisefreiheit für Usbeken gelockert wurde und für Touristen (inoffiziell) die lästige Registrierungspflicht entfällt. Wer weiß, vielleicht erfüllt sich Dilorams Traum von der Englandreise eines Tages. Bis zur Demokratie hat das Land jedoch noch einen langen Weg vor sich.
Was aussieht wie Pommes, sind Karottenstücke, zugeschnitten für Palao.
A propos Registrierungspflicht, Überwachung, eingeschränkte Reisefreiheit und totalitäres Regime. Ihr fragt euch vielleicht, wie eigentlich unsere Ausreise aus China verlaufen ist und seit wann wir mit eigenem Auto unterwegs sind? Grenzüberquerungen auf dem Landweg sind wegen Beamtenwillkür und Korruption selten eine erfreuliche Angelegenheit und erfordern meist sehr viel Geduld und ein riesiges Lächeln, größer noch als es beim Reisen in China sowieso schon nötig ist. Die große Challenge für den Tag der Ausreise für mich lautete also: Keep calm and smile! Bloß nicht das Gesicht verlieren! Der Einsatz: eine 30-minütige Massage.
Der Grenzübergang nach Kirgistan liegt in einer der abgeschiedensten Gegenden Chinas, 4200 km von Bejing entfernt. Ab Chengdu haben wir ca 5200 km zurückgelegt, was der Distanz von der chinesischen Grenze bis in die Türkei entspricht. Eingekesselt von Bergen führt dies dazu, dass die Grenzbeamten so mega erfreut sind, uns zu sehen, dass sie fast vergessen, uns und unsere Rucksäcke zu filzen. Dass sie bei den Befragungen, die mehr den Anschein eines Kaffekränzchens haben, nicht noch Kürbiskerne zum Knabbern reichen, ist gerade alles. Vielleicht liegt es auch an unseren chinesischen Flaggen oder daran, dass Timo (laut Grenzbeamten!!! ;-)) aussieht wie Manuel Neuer; wer weiß. Positive Diskriminierung hat manchmal auch etwas Gutes und so müssen wir unseren Rucksack nur einmal auspacken und unser Handy bleibt unangetastet. Elektronisch gescannt wird der Rucksack allerdings sechs Mal und auch unsere Pässe werden mindestens 30 Mal an unterschiedlichen Kontrollstellen durchblättert und mit unserem Gesicht abgeglichen.
Und dann haben wir es geschafft!!!! Der Grenzzaun auf dieser Seite gleicht eher einer Kuhweide und die Beamten stempeln schneller unseren Pass als wir schauen können - in nur einer Kontrolle. Wir sind in Kirgistan!!! Wir vermissen die chinesischen „best photo spot“- Anzeigen; wäre aber auch schwer bei so viel unberührter fotogener Natur wie hinter dem Irkeshtam Pass auf kirgisischer Seite der Grenze bis nach Osh. Nach 520 Kilometern, sechs verschiedenen Fahrzeugen und 18 Stunden fallen wir am Abend mit Muskelkater im Kiefer und ganz viel Erleichterung über die positive Grenzerfahrung totmüde und mega gespannt auf den Automarkt am Folgetag ins Bett. Die Challenge habe ich übrigens gewonnen ;-)
Inspiriert durch ein niederländisches Päarchen, welches wir zu Beginn unserer Reise in Nepal kennengelernt haben, und die mit einem in Kirgistan erstandenen Auto durch Zentralasien gereist waren, kamen wir also mit der Idee nach Kirgistan, dort ebenfalls ein Auto zu erwerben und damit durch die ehemaligen Sowjetstaaten den Heimweg anzutreten. Warum ausgerechnet ab Kirgistan? China, wen wundert‘s, macht dem Autoreisenden die Einreise noch schwieriger als dem Individualreisenden. Dies hat zur Folge, dass viele Overlander aus Europa ihr Auto in Kirgistan verkaufen. Zwei Wochen hatten wir uns gegeben um zuerst in Osh und, falls dort ohne Erfolg, in Bishkek, der Hauptstadt Kirgistans, nach einem passenden Auto zu suchen, bevor wir nach Plan B mit öffentlichen Verkehrsmitteln und per Anhalter den Heimweg angetreten hätten. Etwas erstaunt und mehr als skeptisch sind wir daher, als wir bereits am ersten Tag in Kirgistan über Ecken von einem Auto erfahren, welches zum Verkauf steht und weitaus passender und erschwinglicher zu sein scheint, als all die Autos, die wir uns auf dem sonntäglichen „Machina Bazaar“ angesehen haben.
Dürfen wir also vorstellen: „Poputschik“, russisch für „Reisepartner“. Alter: 25 Jahre. Herkunftsland: Deutschland. Vor knapp zwei Jahren hat unser neuer Reisebegleiter seinen Weg auf der Seidenstraße von München nach Kirgistan gefunden und seitdem in einer Garage in Osh, der zweitgrößten Stadt Kirgistans an der Grenze zu Usbekistan und China, auf uns gewartet.
Doch unsere Skepsis legt sich schnell. Fast zwei Wochen lang klappern wir mit Oibek, dem Autohändler, der das Auto an uns verkauft, Oshs Autowerkstätten ab und rüsten unseren Van auf. Und wenn wir nicht gerade umgeben von Abgas- und Ölgeruch der Reperatur unseres Autos zusehen, vertreiben wir uns die Zeit damit, auf dem Bazaar Stoffe für Gardienen und Kissen, einen kleinen Schrank, Holzverkleidung für besagtes Schränkchen, einen billigen neuen Fußboden, Kochausstattung und oben erwähnte Campingstühle zu erwerben. Entstanden ist ein richtig schönes kleines rollendes Zuhause, welches uns auf unserer ersten Testfahrt in die Berge bei Osh so viel Freude bereitet, dass wir uns riesig aufs Losfahren freuen.
Da steht er im Nirgendwo...
Es gibt nichts, was die Mechaniker in Osh nicht könnten... Wir hätten sogar die Marke des Autos ändern lassen können ;-)
Spätestens jetzt, nachdem wir bereits seit knapp drei Wochen mit dem Auto unterwegs sind, vertrauen wir voll und ganz auf unseren Dritten im Bunde. Uns eröffnet sich damit ein ganz anderes Reisen: Wir sind viel mobiler, reisen plötzlich viel naturnaher, da wir nicht mehr auf meist stättische Unterkünfte angewiesen sind und können an Orten halten, an den wir normalerweise vorbeigefahren wären. Und das hat uns in Uzbekistan bislang unerfahrene Erlebnisse beschert, denn wenn wir uns abends einen Stellplatz für unseren Wagen suchen, dauert es meist nicht lange, bis breit lächelnde Einheimische vorbeikommen und, wenn sie uns nicht gerade zum Essen einladen, auch mal Eis oder frisch geerntete Aprikosen vorbeibringen.


Morgens in aller Frühe und nachts ist es zum Glück immer schön frisch.


Die Gastfreundschaft und Willkommenskultur der Usbeken ist ansteckend und wir genießen es, langsam durch das Land zu rollen und dabei einen Hauch vergangener Seidenstraßenromantik zu spüren. Am besten geht das auf den quirligen lokalen Märkten, wo wir uns mit allem nötigen für unsere Fahrt und unser Abendessen, welches wir meist selbst zubereiten, eindecken.
Kekse zum Frühstück stehen in Usbekistan hoch im Kurs, doch wir essen lieber leckeres Fladenbrot.
Viele ältere Männer berichten uns, während der Sowjetzeit als Soldaten in der DDR gewesen zu sein. Die Jüngeren zählen meist deutsche Fußballer und Fußballvereine auf und nicht selten wollen sie danach ein Bild mit Manuel Neuer ;-)
Dank des vergrößerten Stauraums können wir nun auch endlich Souvenirs shoppen. Und sollte mal nicht mehr alles ins Auto passen, oben drauf geht immer!
Und um wirklich zu verstehen, woher eigentlich der Name „Seidenstraße“ kommt, besuchen wir in Margilon die Seidenfabrik. Beim Anblick der wunderschönen Fabrikate können wir nur zu gut nachvollziehen, warum der Stoff auch früher schon so begehrt war, dass er in monatelangen Märschen von Ost nach West transportiert wurde.
Unser Aufenthalt in Usbekistan endet vorerst in der Hauptstadt Tashkent, in der sich einmal mehr der Lauf der Geschichte Zentralasiens im Stadtbild niederschlägt. Vergangenes Seidenstraßenflair in Form alter Mausoleen und Moscheen trifft hier auf russisch orthodoxe Glaubenseinrichtungen und monumentale post-sowjetische und moderne orientalisch islamische Architektur.
Doch jetzt ist es etwas zu heiß hier und wir machen uns auf den Weg in die Berge Kasachstans, Kirgistans und schließlich Tadjikistans bevor wir in zwei Monaten den wüstenhaften Westen dieses Landes erkunden und hoffentlich noch mehr Menschen mit goldenem Lächeln treffen werden. Liebe Grüße von uns beiden und Poputschik und euch einen wundervollen Sommer!
Beeindruckt! Von euren Erlebnissen, der spannenden Erzählweise und (mal wieder) den Fotos...
AntwortenLöschen(Hätte nie gedacht, dass ich diese Länder mal so interessant finden kann... ;-)) - Weiterhin alles Gute für euch! PuN