Entlang der Seidenstraße
Bis auf die orangefarbenen Syntethiküberzüge zur Vermeidung von Sand in den Schuhen, müssen die Karawanen auf ihrem scheinbar unendlichen Weg durch die Wüste früher ein ähnliches Bild abgegeben haben, denn die chinesischen Touristen mit ihrem Weißheitswahn sind bei ihrem Ausflug in die Wüste gekleidet als hätten sie vor, sich mindestens einen Monat der Sonne auszusetzen; bei manch einem fragt man sich sogar, ob er/ sie sich auf dem Weg in den Skiurlaub verirrt habe und in der Wüste gelandet sei. Wir hingegen freuen uns mega, endlich im Sommer angekommen zu sein und packen unsere Strandoutfits aus.
Wir sind mittlerweile in Dunhuang, der letzten Stadt in der chinesischen Provinz Gansu, vor der Grenze zu Xinjiang, Chinas westlichster und größter Provinz, angekommen. Dunhuang ist heute mit knapp 300 000 Einwohnern für chinesische Verhältnisse ein Dorf. Früher war Dunhuang eine der bedeutendsten „Metropolen“ entlang der Seidenstraße. Hier wurden Waren umgeschlagen, Händler tauschten sich aus und Gläubige aus aller Welt boten in den Mogao-Grotten Opfer dar, in der Hoffnung, somit auch den letzten Abschnitt durch die Wüste Gobi sicher zurückzulegen.
Wenn der Wind heute den Sand über die Dächer der in ihrem Inneren immer noch faszinierend bunten Mogao Höhlen bläst und die über 300m hohen Dünen am Rande der Oase wandern lässt, kann der Reisende in Ansätzen nachempfinden, wie beschwerlich die Reise für die Kaufleute, die hier schon vor Christus auf ihrem Weg vom Okzident in den Orient entlangkamen, gewesen sein muss.
Doch für uns ist die Reise heute nicht annähernd so schweißtreibend und kraftzehrend wie sie noch zu Marco Polos Zeiten im 14. Jahrhundert war. Die moderne Seidenstraße ist im Zuge des Fernstraßenprojekts der Chinesen, der „One belt - one road“ Initiative, in den letzten Jahren derart ausgebaut worden, dass wir heute hier mit Hochgeschwindigkeitszügen mit bis zu 300 km/h durch die Wüste düsen. Der Venezianer Marco Polo würde staunen, wie schnell und bequem wir durch diese menschenfeindliche Gegend reisen, in der heute nur Hochspannungsleitungen, Teer und Bahnschienen „überleben“.
Die Bahnhöfe ähneln in der Anzahl ihrer Sicherheits- und Ticketkontrollen und ihrer Sauberkeit Flughäfen und auch der Service on board steht dem im Flugzeug in nichts nach. Klimaanlagen und Panoramafenster zu Niedrigpreisen machen das Reisen per Schnellzug in China zu einer tollen Alternative zu Bussen und wir sind dankbar, nicht mehr 12 Stunden sitzend im Bus verbringen zu müssen, um zur nächsten Stadt zu gelangen, so wie es noch in den Permafrostregionen der Fall war, aus den wir vor fast drei Wochen kamen.
Doch zurück zum Anfang unserer Reise entlang der Seidenstraße, die für uns in Xining begann. Als ihr das letzte Mal von uns gehört habt, befanden wir uns auf unserer 12-stündigen Busfahrt aus dem winterlichen Gebirge geradewegs in den Frühling Xinings. Nach Xining führte uns hauptsächlich unser Anliegen, unser 30-tägiges Visum um weitere 30 Tage zu verlängern. Kurzferien wegen Feiertags, fehlende Kopien, falsche Schriftfarbe (!!!) und erneute Schließung wegen Wochenendes führten schlussendlich dazu, dass wir 9 Tage in der 2 Millionenmetropole verbrachten, bevor wir unsere Pässe zurück erhielten und unsere Reise durch China fortsetzen konnten.
In Xining treffen Buddhismus und Islam aufeinander und das Stadtbild bzw. Menschengemisch, welches sich dadurch ergibt, ist unglaublich spannend: Zwischen den gigantischen Hochhausprojekten der Chinesen scheinen hier und da die Kuppeln der insgesamt 80 Moscheen durch und die hier eher kleinen buddhistischen Tempel wirken dagegen ganz unscheinbar. Am Straßenrand verkaufen tibetische Händler Yakmilch-Joghurt und -butter während die Muslime, die sich hier aus Hui, Salaren und Uiguren zusammensetzen, Brote und Schachlick anbieten. Wir sehen plötzlich sehr viele Frauen und Männer mit Kopfbedeckung und können hier sogar dem Freitagsgebet beiwohnen. In Xining erstaunt uns die Religionsfreiheit, die den Muslimen zuteil wird, denn nach allem, was wir bislang von Xinjiang gehört haben, kann der muslimische Nachbaarstaat nicht gerade damit werben.
Während dieser gezwungenermaßen langen Pause treffen wir in unserem Hostel Christiane, eine 75-jährige Französin, mit der wir ein paar Tage lang tagsüber Volkspark, Cafés und Plätze mit Drachensteigern entdecken und abends die verschiedensten Nudelgerichte, darunter auch Mianpian, arabische Nudelsuppe, essen gehen. Alle drei sind wir froh, nach längerer Zeit in China ein wenig Reisebegleitung zu haben - und Französisch sprechen zu können.
Die Muslime hier haben mehr Ähnlichkeit mit Konfuzius als mit ihren Brüdern im arabischen Raum.
Buddhistisches Kloster Qutan Si
Baozi (gefüllte Dampfnudeln) essen wir häufig zum Frühstück. Abends gibt es oft Nudelsuppe, scharf!
Die buddhistische Malerei in den Tempeln hier ist ganz deutlich von chinesischen Einflüssen geprägt.
Weiter geht es für uns nach Zhangye in den „Colorful Danxia Nationalpark“. Wir freuen uns schon beim Gedanken daran, durch die flammenden Berge zu wandern, denn Timo ist wieder bester Gesundheit. Dabei haben wir einen Moment ganz vergessen, dass wir ja in China sind und dass Nationalparks hier anders funktionieren als bspw. in Neuseeland, USA oder Kanada. Wandern ist hier nicht vorgesehen - erfahren wir, als wir auf den Teerstraßen zwischen den Aussichtsplattformen, anstelle den Parkbus zu nehmen, von einem Polizisten aufgegabelt und zur nächsten Bushaltestelle gebracht werden. Also heißt es: Von Busstopp zu Busstopp fahren, nach Ausstieg immer dem Strom der anderen Besucher hinterher zum schönsten Fotospot laufen - Mülleimer, Schilder und Geländer beim Knipsen ja nicht vergessen - und wehe dem, der entgegen des Stroms zurücklaufen möchte. Grrrr...
Weder unserer Verärgerung der Sicherheitsmänner gegenüber auf Deutsch Luft zu machen, noch die Klangmusik, mit der die Besucher an jeder Aussichtsplattform beschallt werden, bringen uns zurück ins Zen, nachdem wir von der Parkaufsicht wegen unserer Wanderaktion so unsanft zurückgepfiffen wurden. Wir sind nun richtig im „Mensch, ärger die chinesische Parkaufsicht“- Modus und lehnen uns, so oft es geht gegen die Parkregeln auf: Hier ein Bein übers Geländer, dort eine Grimasse in die unzähligen Überwachungskameras, hier noch ein Foto auf der Straße,... Für einen Moment haben wir Angst, am nächsten Tag nicht mehr in den Park gelassen zu werden, da wir fürchten, zusätzlich zur Gesichtserkennung seien rebellische Aktivitäten auf unserem Besucherkonto gespeichert worden.
Wesentlich besinnlicher gestaltet sich unser Besuch im Binggou Danxia Nationalpark ganz in der Nähe sowie der Besuch der buddhistischen Höhlentempel Mati Si, wobei wir an beiden Orten den Schneebergen nochmal so richtig schön nah sind.
Wir amüsieren uns nicht selten über die Aufrufe zum „zivilisierten Verhalten“ - hier auf einer Herrentoilette.
Blick aus den Höhlentempeln von Mati Si auf die Schneeberge
Kein Durchgang für große Menschen ;-)
Beim Hindurchgehen unter den Gebetsflaggen mussten wir an unsere Hochzeit denken... (auf der unsere Gäste Gebetsflaggen mit Wünschen beschrieben zum Auszug für uns hoch hielten).
Etwas sportlicher geht es schließlich bei unserem nächsten Stopp in Jiayuguan zu. In Jiayuguan endete einst die Große Mauer und begann das Ende der Welt. Heute befinden sich hier also nach chinesischer Manier eine perfekt nachgebaute Mauer, ein Wachturm und eine ebenfalls viel zu perfekt restaurierte Festungsanlage. Zusätzlich zu diesen Nachbauten findet der Besucher an dieser mit fünf AAAAA klassifizierten Touristenattraktion, der höchsten Klassifizierung, alles, was die chinesische Tourismusindustrie zu bieten hat: 10-minütige Ausritte auf dem Kamel, Helikopter- , Heißluftballon- und Gleitschirmflüge, Verkleidungsangebot, Unmengen an Essen, ... Wir ignorieren den Kommerz und freuen uns über die Bewegungsmöglichkeit. Wir wären die Stufen zum Mauerende am liebsten hoch und wieder runter gelaufen - nur um sie ein zweites Mal hochlaufen zu können. Aber wie ihr euch schon denken könnt, darf man natürlich nicht gegen den Strom runterlaufen. Grrr...
Futuristisches Schlaferlebnis in einer Space-Kapsel
Dafür lassen wir uns in Dunhuang die Bewegung nicht nehmen und erklimmen als einzige die höchste Sanddüne, den Mingsha Shan. Ein Verbotsschild oder einen Zaun gibt es hier nicht und selbst wenn irgendwo ein Wachmann mal wieder hysterisch in seine Trillerpfeife gepustet und sich die Stimme durchs Megaphon heiser geschrien hätte, gehört hätten wir ihn dort oben eh nicht mehr ;-) Der Ausblick auf die Weite der Wüste wirkt befreiender als jedes deutsche Schimpfwort und jedes Klanglied und wir sind positiv erschöpft und glücklich.
Ganz bis oben hinauf wollten wir, um zu sehen, wie es dahinter aussieht...
Sonnenuntergang über dem Mondsichelsee
Und bevor ihr nun Angst habt, uns an die chinesische Rebellenfraktion verloren zu haben, können wir euch beruhigen, denn wir sind zwar nicht immer ganz konform mit der Menge der Chinesen, doch wir folgen dabei ihrem größten Meister, Konfuzius, denn Konfuzius sagte eins: „Um zur Quelle zu gelangen, muss man gegen den Strom schwimmen.“ Leider ist dieses Zitat Konfuzius‘ in China sicherlich zensiert, doch wir finden es klasse!
Bei einem ersten Glas Wein, Pizza und Spaghetti mit Tomatensoße stoßen wir also auf Konfuzius an und lassen unsere Zeit in Gansu und in der Wüste ausklingen. Wir müssen Schmunzeln, denn nicht nur haben diese Speisen ihren Weg auf der Seidenstraße hier her (zurück) gefunden, sondern zugleich sind sie auch ein kleiner Vorgeschmack auf das, was uns kulinarisch im Dezember erwarten wird, wenn wir in Venedig ankommen. Hin und wieder läuft uns das Wasser jetzt schon im Mund zusammen, wenn wir uns vorstellen, dann so viele Pizzen zu vertilgen wie wir momentan Nudelsuppen zu uns nehmen. Aber bis dahin dauert es noch ein Weilchen, denn der Weg durch die Takklamakan-Wüste Xinjiangs bis zur kirgisischen Grenze ist selbst per Hochgeschwindigkeitszug noch weit...
Liebe sommerliche Grüße immer noch aus China! Timo & Hanna
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