In Kuba ist weniger nur manchmal mehr

Nach 1602 Kilometern auf dem Rad (und ein paar Kilometern zwischendurch per Bus) sind wir nach sechs Wochen in Havanna angekommen. Yuhuuu!!!! Auch wenn wir während der ersten Tage so oft wie noch nie zuvor in unserem Leben das Wort „Po“ in den Mund genommen haben, sind wir am Ende ganz schön traurig, die Räder abgeben und somit wieder auf andere Verkehrsmittel, das damit verbundene Warten und Nervigen-Taxifahrern-nach-Ankunft-aus-dem-Weg-gehen umsteigen zu müssen. Die wattierten Hosen allerdings werden wir und unsere Pos nicht vermissen ;-)







Nachdem wir uns von unseren netten Reisebekanntschaften aus Baracoa verabschiedet hatten, ging es für uns erst einmal ein paar Tage an die Strände um Guardalavaca, im Nordosten Kubas. Fernab der all-inclusive Anlagen fanden wir auch dort, auf einem Hügel gelegen, eine kleine sehr erschwingliche Casa particular, in der wir Energie für die zweite Etappe durch Kubas Zentrum und den Westen tankten. 









Nach ausgiebigem Faulenzen, Sonnentanken und Wassersport führte uns unser Weg durch die Kolonialstädte Trinidad und Cienfuegos und durch das Tal der Zuckermühlen, dem Zentrum von Kubas einstigem Reichtum. 





















Auf teils holprigen Pisten und mit (insgesamt nur!) drei Platten ging es entlang traumhafter Strände und teils einsamer Buchten mit häufigen Schnorchelgelegenheiten und Badestopps bis in den Westen Kubas, nach Viñales. 













In Viñales erkundeten wir Kubas einzigartige und weltberühmte Tabakanbaugebiete und hatten Glück, Einblicke in die Tabakernte, die Trockenhallen und sogar Zigarrenfabriken gewinnen zu können. 





















Mit einem Zwischenstopp auf Cayo Levisa, einer der nördlichen vor Kuba gelagerten Inseln mit Puderzuckerstrand und kristallklarem Wasser, ging es schließlich nach Havanna.







Und da sind wir nun... „Radlos“ laufen wir durch die Straßen der Hauptstdt Kubas und sind einmal mehr fasziniert von dem Gesicht, welches uns dieses Land hier zeigt: Wunderschön restaurierte Häuser im kolonialen Stil stehen direkt neben Häusern, die NOCH nicht den 1000 jährlich einstürzenden Häusern zum Opfer gefallen sind. 





Vor den brökelnden Fassaden breiten sich Szenen aus, welche in Kontrast zu den maroden Bauwerken stehen und vor Leichtigkeit und Lebendigkeit nur so strotzen: Kinder spielen Baseball, Männer stehen in Türen, die in Kuba immer weit offen stehen und tiefe Einblicke in die Wohnungen zulassen, und werfen Frauen Küsschengeräusche hinterher, ein japanischer (oder auch chinesischer) Tourist macht wie wild Selfies mit den Straßenmusikern, die einmal mehr Buenavista Social Clubs „Chan Chan“ zum Besten geben, bevor er direkt im Anschluss die beiden ausländischen Kinder ablichtet, die auf ihren brandneuen Souvenirtrommeln die Musiker nachahmen. Ein junger Künstler verziert die baufälligen Mauern mit Malereien, eine Churros Verkäuferin gibt einer Horde Zucker hungriger Kinder je eine Hand voll süße noch warme Krümel während einige Touristen bereits um 11:00 Uhr morgens schon wieder die teuren Straßenlokale füllen, wie es sie hier in Havanna in Hülle und Fülle gibt und wo es all das zu essen gibt, wovon die meisten Kubaner nur träumen. Eine Frau kommt gerade aus einem der erstaunlich breit aufgestellten Maniküreläden und bewundert ihre Shellack Finger und eine junge Frau im Prinzessinnenkleid wird von zwei professionellen Fotografen anlässlich ihres 15. Geburtstags fotografiert, so wie es in Kuba Brauch ist. 













Ja, die Kubaner wissen, sich ihr Leben zu versüßen und das müssen sie auch, denn das Leben auf Kuba ist wahrlich kein Zuckerschlecken. Der Durchschnittskubaner, der beispielsweise als Arzt, Ingenieur, Lehrer, Bauer oder Bediensteter in einer staatlichen Cafeteria, einem Geschäft, einem Hotel etc. arbeitet und vom Staat bezahlt wird, verdient umgerechnet zwischen zehn bis allerhöchstens 30$ pro Monat. Mit diesem geringen Verdienst kann er sich das Einkaufen in Devisenläden, d.h. Läden, in denen man ausschließlich mit CUC (der dem Dollar entsprechenden Touristenwährung) bezahlen kann, nicht leisten. Somit bleibt ihm der Zugang zu den wenigen überhaupt importierten Produkten und qualitativ hochwertigerer Ware und Kleidung verwehrt. Viele der Niedrigverdiener müssen also mit dem Wenigen um die Runden kommen, was ihnen dem Libro (einer Art Wertmarke) nach zusteht. Viele Kubaner, den wir begegnet sind, träumen von mehr. Sie wollen mehr verdienen, wollen ihrer Qualifikation entsprechend bezahlt werden, träumen von einem höheren Lebensstandard, sind es satt, immer das Gleiche essen zu müssen, wollen ins Ausland, reisen, die Welt sehen. Einen Pass, der umgerechnet 100$ kostet, können sich nur wenige leisten; abgesehen davon, geht die Regierung nicht gerade großzügig mit dem Erteilen von Reisegenehmigungen um. 







Diejenigen Kubaner, die entweder Verwandte im Ausland (60%) und somit Zugang zu ausländischer Währung haben, die als Selbstständige im Tourismus arbeiten, auf dem Schwarzmarkt Dinge vertreiben oder gute Beziehungen haben, haben die Möglichkeit ein „gutes Leben“ zu führen. Am Besten leben diejenigen, auf die mehrere dieser Faktoren zutreffen. Einer unserer Hosts beispielsweise vertreibt neben der zwei einfachen Zimmer, die er in seinem Haus für 25$ pro Zimmer pro Nacht vermietet, „geschmuggelte“ Smartphones: Mehrere Kubaner schließen sich dazu zusammen und bezahlen einem in Amerika lebenden Exilkubaner die Heimreise plus Schmiergeld für Zollbeamte, sodass dieser anstelle der zwei erlaubten Handys 30 Handys nach Kuba einführen kann. Diese 30 Handys teilen sich die o.g. Kubaner untereinander auf und verkaufen sie mit je 30% Gewinn. Zufälligerweise hat unser besagter Host auch noch einen Freund, der in einer Zementfabrik arbeitet, sodass die Ferienwohnung, die er gerade am Bauen ist, ohne Verzögerung fertiggestellt werden kann. Normalerweise ist so etwas nach kubanischer Manier nur schwer möglich, denn Zement, Farbe oder andere Baumaterialien stehen jedem nur in geringer Menge zu. (Deshalb bezahlte ein anderer Casa-Betreiber wiederum Kubanern auf der Straße 1 CUC (=1$), um ihm je zwei Farbtöpfe für sein Haus zu kaufen und um somit die Menge an Farbe zu erwerben, die er benötigte.) Fehlte nur noch, die Ehefrau oder ein Bruder, der in einem staatlichen Hotel arbeitet und vergünstigten oder gar kostenlosen Zugang zu allerhand Frühstücksspeisen hat, die sonst nur mit viel Mühe zu beschaffen und mit einem hohen unrentablen Kostenaufwand verbunden sind. 







Es ist krass, wie oft wir in den sechs Wochen von Kubanern gehört haben, dass „jeder Kubaner stiehlt.“ Ob Speisen aus einem staatlichen Hotel, die dann als Frühstück gegen Bezahlung angeboten werden können, ob Eis, welches nach Dienstschluss weiterverkauft wird, ob Fleisch, welches vom staatlichen Shop für den Nachbarn gegen Bezahlung abgezwackt und über den Zaun geworfen wird, ob Wasser, welches vom Tank, der eigentlich Krankenhäuser beliefern soll, von dem ein Teil an gut zahlende Privatleute weiterverkauft wird, ob Zigarren, die in der Fabrik abgezwackt und an Touristen weiterverkauft werden, ob Übernachtungsgäste in einer Casa particular, die einfach nicht registriert werden, um damit die horrenden Abgaben an den Staat zu umgehen,... die Liste der schwarzen Geschäfte ist lang. „Wenn der Staat nicht zahlt, bessern wir uns eben selbst unseren Lohn auf,“ sagen die Kubaner. Logische Konsequenz und irgendwie sehr verständlich. So kommt mancher Kubaner rund um von Touristen hochfrequentierte Orte wie Trinidad sogar auf die Idee, als persönlich ernannter Aufseher an einem Strand eine Strandnutzungs- und Fahrradparkplatzgebühr zu verlangen. Zum Glück sind wir dank der Räder so mobil, dass wir einfach noch ein bisschen weiterfahren, um in der nächsten Bucht im wohl schönsten Aquarium der Welt kostenlos und obendrein alleine zu schnorcheln. 







Doch nicht alles in Kuba ist schlecht: Auffällig ist beispielsweise, dass die Umweltverschmutzung auf Kuba vergleichsweise gering ist, denn Dosengetränke zum für Kubaner unglaublichen Preis von einem Dollar können sich nur wenige leisten und die in vielen Ländern so beliebten Mini-Chipspackungen und andere Snacks gibt es schlichtweg nicht. Kein Plastik, kein Müll, keine Umweltverschmutzung! In unseren Augen ein Traum - auch wenn die Kubaner den eher amerikanisierten Lebensstil zweifelsohne vorziehen würden. 





Alle Kubaner haben kostenlosen Zugang zu medizinischer Versorgung. Es gibt Krankenhäuser bzw. Arztpraxen mit sehr gut ausgebildetem Personal in allen noch so kleinen Dörfern. Ebenso sieht es mit der Schulbildung aus. Kubas Analphabetistenrate ist niedriger als die der USA; bettelnde Kinder, wie wir es aus Asien gewohnt sind, gibt es in Kuba so gut wie nicht. Der Staat subventioniert Museen und andere kulturelle Einrichtungen, sodass die Kubaner bspw. von günstigen Theaterkarten profitieren. Und das wissen auch viele Kubaner zu schätzen. Beispielsweise Eduardo, den wir in Havanna treffen. Eduardo spricht uns auf der Straße an, um einfach nur Deutsch zu reden. Vor dem Fall der Berliner Mauer hat er drei Jahre lang in Deutschland gelebt und als Mechaniker gearbeitet. Frauen seien die besten Lehrerinnen, sagt er. Seine erste Freundin hieß Beate; ihren Namen, so wie den seiner Adresse in Deutschland (Charlottenstrasse 15, Berlin), werde er nie vergessen. Eduardo hat 36 Geschwister; seine Mutter hat 10 Kinder mit 3 Männern, der Vater 26 mit 16 Frauen. Eduardo hat einen einzigen Sohn, den er als „äußerst faul“ bezeichnet. Heute kauft Eduardo Öfen, bessert sie auf bzw. repariert sie und verkauft sie dann weiter. Er verdient damit gut Geld, denn Geschäfte wie Saturn, Media Markt o.ä., wo man einfach hingehen kann, um sich einen neuen Ofen zu kaufen, gibt es schlichtweg nicht. Die Kubaner sind Meister im Recycling und in der Reperatur. Auch wenn er sich mit dem Geld, welches er sparen kann, wahrscheinlich nie ein Auto kaufen kann, ist er der festen Überzeugung, dass es besser ist, gesund zu sein, als ein Auto zu besitzen, ganz nach dem Motto: Weniger ist mehr. Und auch wenn wir wohl nicht unserem Versprechen nachkommen werden, unser Kind eines Tages Eduard zu nennen, so kommen wir gerne unserem Versprechen nach, Deutschland einen riesigen Kuss für ihn zu schicken. Angekommen??? 



Und bevor auch wir in drei Wochen für eine Steppvisite nach Deutschland kommen, geht es für uns jetzt erst einmal nach Mexiko. Wir freuen uns auf bunte Märkte, leckeres Essen, richtige Milch. In Kuba gibt es fast ausschließlich Pulvermilch, weil richtige Milch Kindern bis 7 Jahren und Diabetikern staatlich zugesichert wird. Somit gibt es fast nie welche für den Rest der Bevölkerung und jeder versucht Diabetiker zu „werden“. Wir sind gespannt, welche Musik die kleinen Mexikaner mit den großen Hüten wohl zum Besten geben werden. 

Für Kuba hoffen wir, dass die neue Verfassung, für die Kuba am 24. Februar sicherlich mit „Si“ stimmen wird, den Kubanern wirklich die lang erhofften Verbesserungen einräumen wird.













Kommentare

  1. Viktoria und Friedrich11. März 2019 um 14:51

    Hallo ihr Lieben, es ist schön zu lesen, wie ihr den Rest der Reise auf Kuba erlebt habt. Schön, dass wir ein Teil eurer Reise sein durften!
    Wir freuen uns schon auf einen persönlichen Erfahrungsaustausch in Hannover.

    Eure Reisebekanntschaft aus Baracoa

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