Trekking-Tagebuch Teil 4: Am Ende
Tag 35: Nach einem letzten Käsesandwich geht es heute morgen Energie geladen weiter. Hier im Gorkha District kommen wir dem Epizentrum des Erdbebens von 2015 immer näher und sehen die Spuren des Disasters: Trümmerhaufen, verlassene Häuser, Aufklärungsposter der Erdbeben-Hilfe zum „richtigen“ Hausbau und -mittlerweile - viele neu gebaute Häuser. Während es in den höheren Bergregionen meist besinnlich still war, ist es heute im Wald richtig laut: Grillen zirpen, der Budi Gandaki (Fluss) tost in der Schlucht und Wasserfälle stürzen in die Tiefe. Eigentlich dachten wir ja, wir seien auf dem Abstieg, doch es geht gefühlt mehr hoch als runter, sodass wir nach später Ankunft in Deng richtig ausgelaugt sind. Trotz der Entspannung am Vortag sind wir irgendwie ganz schön kaputt und Träumen vom Ende des Trekkens. Ab hier wären es noch vier Tage bis zum Erreichen der Straße in Soti, auf der uns Busse aus den Bergen hinaus in die Wärme bringen könnten, doch wir haben noch weitere zwölf Trekking-Tage geplant...
Tag 36: Die Nacht auf 1900m, unserem bislang tiefsten Punkt, war erstaunlich warm und so biegen wir optimistisch ins Tsum-Tal ein. Ähnlich wie das obere Mustangtal, wo wir unsere ersten Trekkingwochen verbracht haben, ist auch das Tsum-Tal tibetisch und die Tsumpa halten an ähnlich traditionellen Lebensweisen fest: Sie praktizieren Polyandrie, eine Form der Ehe, bei der eine Frau mehrere Männer, meist Brüder, heiratet und die Tsumpa töten keine Tiere. Tatsächlich fehlen die Fleischgerichte auf der Speisekarte - nur Thunfisch aus der Dose ist ok. Am Abend regnet es zum ersten Mal seit Wochen so heftig, dass die fetteste Spinne unseres Lebens (so groß wie Timos Hand) in unserem Zimmer Zuflucht sucht - das offene Dach macht ihr den Einstieg leicht. Ahhhhhhh!!!!!
Tag 37: Die Nacht war schlecht, da uns Albträume von Monsterspinnen heimgesucht haben und wir zudem mal wieder unseren Nachbarn durch die Spahnplatten-Wand hindurch oder auf Grund der fehlenden Zimmerdecke haben schnarchen hören; die Stimmung ist mies. Zu allem Überfluss laufen wir ganze vier Stunden auf der schattigen Talseite bergauf und bergab. Das Tsum-Tal ist hier, unterhalb von 3000m, sehr eng und die Wege sind damit zum Teil äußerst abschüssig. Zum Glück sind die gelegentlichen Befestigungen TÜV geprüft ;-)
Die Stimmung bessert sich mit unserer frühen Ankunft in Chumling, dem Beziehen eines gemütlichen und warmen Zimmers und dem Kennenlernen einiger gleichgesinnter Mitreisender: Amandine und Co aus France und Paul, Catherine und Sylvie aus den USA. Da wir dieses Mal nicht gegen den Uhrzeigersinn laufen, treffen wir diese Menschen immer wieder, was zur Abwechslung richtig schön ist.
Tag 38: Bereits beim Abmarsch um 7:30 Uhr scheint die Sonne auf dem vor uns liegenden Weg und es ist schon so schön warm, dass wir auch heute nochmal im T-shirt laufen können. Die roten und gelben Amaranth- sowie die hellgrünen Hirsefelder leuchten in der Morgensonne; hier und da lugt ein Tempel hinter den bewaldeten Hängen oder den Feldern hervor. Die roten Mönche und zunehmends auch Nonnen, die hier sehr häufig unseren Weg kreuzen, wirken wie Farbtupfen in der ansonsten immer karger werdenden herbstlichen Landschaft bis zu unserer Ankunft in Chekampar.
Tag 39: Heute ist Shishirs Geburtstag und so beginnt der Tag mit aus China importiertem Trockenkuchen, den wir dankenswerterweise hier oben haben erstehen können. Nicht nur daran und am günstigen Lhasa Bier, sondern auch an dem Angebot chinesischer Nudelsuppen-Eimer spürt man die Nähe zur tibetischen Grenze. Wir können es uns nicht verkneifen, einen solchen zu essen und erinnern uns an unsere Reisen in China, während derer wir beispielsweise während Bus- und Zugfahrten häufig auf diese Variante des Fast Foods haben zurück greifen müssen.
Auf dem Weg kommen wir an mehreren sich an die Felswände schmiegenden kleinen Bergklöstern und Meditationshöhlen vorbei, die auch heute noch von den Dorfgemeinschaften genutzt werden. Überhaupt ist der tibetische Buddhismus hier oben sehr lebendig; so lebendig, dass noch heute neue Klöster gebaut werden, denn für viele Menschen ist Mönch-werden noch immer der einzig mögliche bzw. günstigste Zugang zu Bildung; staatliche Schulen sind schlecht und Privatschulen kostspielig.
Eines dieser frisch eingeweihten Klöster sowie die dazugehörige Krankenstation besuchen wir in Lamagaon. Kranke Menschen werden hier kostenlos behandelt; die Medikamente und das Personal werden vom Kloster finanziert. Schwangere Frauen können sich hier ein sogenanntes „Birthing kit“ abholen, in dem unter anderem sterile Klinken zum Durchtrennen der Nabelschnur enthalten sind. Auch sind wir erstaunt über das hohe Maß an Aufklärung bezüglich Hygiene, die das Kloster in dieser Region leistet.
In einem anderen Kloster, Mu Gompa, am Ende des Tsum-Tals, bevor es sozusagen über die Grenze nach Tibet geht, endet für uns der (heutige) Aufstieg auf 3700m. Wir beziehen für zwei Nächte eine ehemalige Mönchszelle, in der es nach Oma riecht und wie bei Oma aussieht - bis auf dass die Bilder im hölzernen Küchenschrank nicht Papa und seinen Bruder mit langen Haaren, sondern Mönche und den Dalai Lama mit geschorenen Köpfen abbilden.
Tag 40: Ich bin heute schon ganz früh wach, denn hier im Kloster ist es möglich, den Mönchen bei der sogenannten Puja, der Andacht bzw. der Meditation (am Morgen und Abend) beizuwohnen. Ich stehe noch vor Sonnenaufgang auf der Matte und sehe, bis es losgeht, den Mönchen bei den Vorbereitungen zu: Spezielle Becher für tibetischen Buttertee (Schwarztee mit Butter und Salz) werden bereit gestellt, der Boden wird gefegt (denn während der Andacht werden Körner geworfen) und die Wassergefäße und Kerzen am Altar werden mit Wasser oder Öl aufgefüllt und angezündet. Nach einigen Niederwerfungen und fast synchron zum Sonnenaufgang über den Bergen und dem Einreffen der ersten Sonnenstrahlen an der Klostertür, wird mit dem Klang einer Muschel das Morgengebet eröffnet - und Timo geweckt.
Wie auch am Abend zuvor ist die Stimmung im Kreise der fünf Mönche sehr entspannt. Von der angespannten Stimmung, die wir in großen Klöstern in Nordindien erlebt haben, ist hier nichts zu spüren. Die fünf Mönche, die seit ihrem jungenen Erwachsenenalter hier oben sind und mittlerweile zwischen 70 und 86 Jahre alt sind, sind einander sehr vertraut. Hin und wieder unterbricht der eine die Rezitation der tibetischen Mantras und schaut auf sein Handy, ein anderer gähnt während des Musizierens und verlässt kurz den Raum zum Füttern der Tauben und wieder zwei andere lachen lautstark über irgendetwas. Sichtlich amüsiert sind sie auch über uns und unseren Daunenschlafsack, den wir uns zum Zudecken mit in die Gebetshalle gebracht haben.
Tag 41: So magisch die Stimmung hier oben auch ist und so sehr wir die Berge tagsüber im Sonnenlicht an windgeschützten Plätzen genießen, wir halten die Kälte am Nachmittag und in der Nacht nicht mehr aus. Auch kommen uns Dal Baht und Tsampa (geröstetes Gerstenmehl mit Milchtee) aus den Ohren raus und unser Körper benötigt dringend Obst und anderes Gemüse als immer nur Kartoffeln!!!!!! Sishir kränkelt schon seit einer Woche und auch ich muss meine Erkältungserscheinungen mit Aspirin Complex unterdrücken, um die Tagesmärsche zu schaffen. Unsere Zahncreme, sogar die Minipackung, die uns freundlicherweise eine andere Trekkerin gegeben hat, und unser Shampoo sind aufgebraucht. Obwohl momentan eh nicht an Duschen und Haarewaschen zu denken ist, sind Hygieneartikel im eher untouristischen Tsum schwer zu finden; eigentlich der Traum eines Reisenden... So fällt uns die Entscheidung nicht schwer: Wir verzichten auf den drei-tägigen Abstecher zum Ganesh Himal Basecamp und die damit verbundenen zwei Nächte im Zelt und gehen stattdessen so schnell uns unsere Beine tragen in Richtung Soti und damit in Richtung Wärme und Trekking-Ende.
Tag 42: Wir befinden uns nun offiziell auf dem Rückweg. Yuhuuuu!!!! Mit der Zuversicht, dass es nachts nun immer wärmer wird und Duschen und (Kleidung)Waschen immer näher rücken, gelingt es uns, erneut auch die „Widrigkeiten“ zu schätzen: Das Einmummeln in den dicken Schlafsack am Abend, die sternklaren Himmel während der nächtlichen Toilettengänge und das Rucksackschultern und Loslaufen an jedem neuen Morgen.
Tag 43: Wir genießen den letzten Sonnenaufgang über den Schneebergen während dessen der Himmel ein wahres Farbspektakel darbietet: Von blau zu lila und schließlich gelb. Bevor wir uns auf den Weg machen, schenkt uns der Besitzer der Kharma Lodge in Chekampar, in der wir auch schon auf dem Hinweg genächtigt haben, eine Khata. Nach nepalesischem Brauch legt man diesen zuvor gesegneten Schal Menschen bei Abreise und Ankunft und zu besonderen Ereignissen um den Hals. Wir sind von der Zuwendung des Hüttenbesitzers ganz ergriffen und setzen unseren Abstieg, begleitet von vielen guten Wünschen und dem Sgen der Götter, sicher fort. Faszinierend, wie schnell wir wieder unten in Lokpa, dem Startpunkt des Tsum-Tals sind.
Tag 44: Heute morgen heißt es „Good bye Tsum-Tal!“ Noch knappe 40 - wie sich herausstellen wird - sehr harte und lange Kilometer bis zur Straße in Soti. Dachten wir am Morgen noch, in zwei Tagen am Ziel zu sein, stellen wir am Abend fest, dass wir mindestens drei Tage benötigen werden, da der Weg immer wieder fast genau so viel aufsteigt, wie er absteigt. Grrr..... Dafür hat sich die Landschaft rasant verändert: Die Hügel sind saftig grün und von Wasserfällen genährt, die Dorfdichte und die Touristenmassen steigen (auf den für die meisten Trekker ersten Tagen der Manaslu-Umrundung), um uns herum wachsen Bananenstauden, Zitronen- und Weihnachtssternbäume, es wimmelt vor bunten Schmetterlingen und es ist so unfassbar tropisch heiß!!!!!
In unserer Unterkunft in Jagat können wir am Abend heiß duschen - auch wenn wir fast schon lieber kalt duschen wollen. Yuhuuu!!!! Wir schrubben uns als hätten wir seit mehreren Wochen nicht geduscht und genießen es, nicht mehr vor unserem eigenen Körpergeruch wegrennen zu wollen. Jetzt müssen wir nur ganz bald mal unsere Daunenjacken und Funktionskleidung chemisch reinigen lassen.
Tag 45: Heute ist der wohl vorletzte Wandertag. Verrückt! Wir können uns ein Leben ohne Rucksack, Schlafsack und Wandern gar nicht mehr vorstellen. Ob wir überhaupt noch ohne Trekkingstöcke laufen können? Ab Tatopani laufen wir auf dem Versuch einer Straße: Erdrutschgefahr auf der einen, Steinschlaggefahr auf der anderen Seite; nicht befahrbar und eigentlich auch nicht begehbar. In Deutschland dürfte man eine derartige Baustelle nur mit Sondergenehmigung und Helm betreten, in Nepal passieren täglich Massen an Touristen, Einheimischen, Trägern und Eselskarawanen die Gefahrenstellen, die lediglich ein paar Gebetsfahnen sichern. Ein kulinarisches Hightlight jagt das nächste: Banana Chocolate Cake (also Banane im Teigmantel fritiert) als Nachspeise zum Mittagsessen und Spaghetti mit richtiger Tomatensauce, keiner fake Ketchup Tomatensauce, am Abend in Matcha Khola, Cider, Äpel und Chips.
Tag 46: Ein letztes Mal heißt es heute Morgen „Jam, jam (dscham, dscham) - Los geht‘s!“ Nur noch 11 Kilometer! Wir merken, dass wir Soti immer näher kommen, denn die Straße, auf der wir später hinausrollen werden, bessert sich zunehmends - für nepalesische bzw. bergweltliche Verhältnisse wohl gemerkt ;-) Das Tal öffnet sich und die sich hinter jeder Kurve anschließenden Hügel werden immer kleiner. Von Schnee und Kälte fehlen weit und breit jede Spur. Der Reis, der hier unten auf einer Höhe von 900m angebaut wird, leuchtet mal wieder in der Morgensonne. Als Timo uns den letzten Kilometer ankündigt und vorschlägt, diesen rückwärts zu laufen, erreicht unsere Stimmung den Höchstpunkt - und dass obwohl wir uns am tiefsten Punkt unseres Treks befinden - auf 720m.
Nach knappen 520 Kilometern, 69 064 Höhenmetern (34 309m hoch, 34 755m runter), was einem viermaligen Auf- und Abstieg des Mount Everest gleich kommt, 77 191 verbrannten Kalorien, was umgerechent 318 Snickers (à 50g) oder 367 Flaschen Cola (à 500ml) entspricht, mehr als 60 Hängebrücken, 32 Nudelsuppen, 23 Dal Baht und unzähligen anderen Gerichten pro Person und 24 Duschen sind wir nach 46 Tagen am Ende!!!!!!
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