Trekking-Tagebuch Teil 3: Einmal um den Manaslu
Tag 23: Entlang des Marsyangdi Khola laufen wir talabwärts. Zu Timos Enttäuschung hat dieser Fluss (Khola) rein gar nichts mit Cola zu tun, auch wenn so ein unendlicher Cola-Fluss uns gut täte. Unsere Hosen rutschen; wir haben ganz schön abgenommen und das tägliche Frühstück bestehend aus Chapati, Spiegelei oder Omlette und Bratkartoffeln oder Rösti, das Mittagessen, meist eine Nudelsuppe mit Gemüse, und Dhal Bat (Reis, Linsen und Gemüsecurry) mit free refill zum Abendessen vermögen nicht, uns mehr Kalorien zuzuführen, als wir bei den 5-8-stündigen Märschen verbrennen. Aber wir fühlen uns fit und können immer mehr mit Sishir mithalten, der wie ein Schneeleopard die Berge hinauf sprintet und wie ein Flummi runter rollt. Da wir heute früher angekommen sind als sonst, bestellen wir in Pisang zum Mittagessen Momos, die eine längere Zubereitungszeit erfordern. Zur Feier des Tages gibt es auch für Sishir Momos. (Träger und Guides bekommen in den Unterkünften meist nur Dhal Bat, mindestens zwei Mal am Tag, wie es sich für richtige Nepalis gehört; gefühlt isst Sishir am Tag mehrere Kilo Reis ;-)) Für umgerechnet 1€ kommen wir in den Genuss einer mit Gas beheitzten 45 Grad heißen Dusche - wenn die Umgebung nicht so sehenswert wäre, würde ich heute noch darunter stehen.
Tag 24: Es ist schwer zu sagen, was das Highlight des heutigen Tages war: das Kilo Äpfel, welches wir unterwegs erstanden haben, die kostenlosen heißen Quellen in Chame, in den wir uns aufwärmten bis die Haut anfing zu schrumpeln oder Philipp, ein promovierter Chinese aus Chengdu, der mindestens genauso beeindruckt war von unserer Kür, den Thorung La von der anderen Richtung bezwungen zu haben, wie von unseren spärlichen Chinesischkenntnissen. Kurzerhand lud er uns zu sich nach Chengdu ein und versprach, Masken seines Gesichts für uns anzufertigen, sodass wir unerkannterweise ohne Guide nach Tibet reisen könnten; unser Chinesisch sei ja schließlich so gut, dass wir nicht auffallen würden. Na, könnt ihr euch uns mit diesem Gesicht vorstellen?
Tag 25: Heute ist ein sehr spannender Tag. Wir haben uns bei der Festsetzung unseres Tagesbudgets verkalkuliert und benötigen dringend Geld. (Freut euch nicht zu früh; lediglich unser in kleinen Portionen im Rucksack verstecktes Geld geht zu Ende; zur Heimkehr sind wir noch lange nicht gezwungen. ;-)) Geldautomaten gibt es in den Bergen keine. Dank schnellen Internets in Chame war es Timo jedoch möglich, sich selbst per Western Union Geld zu schicken; die Frage ist nur, ob wir es wirklich erhalten werden. Unsere Hoffnung schwindet beim Betreten der „Bank“, eines Raumes mit zwei auf einfachen Tischen versehenen PCs, eines als Drucker erkennbaren Geräts, Plastikmülleimer in der Farbe des Banklogos und zwei Mitarbeitern, gekleidet in gefälschte Northface Jacken, zufälliger- oder absichtlicherweise in der Farbe des Mülleimers. Doch siehe da: Nach einer knappen Stunde, einer Tasse Tee, Samosas und mehreren Anläufen, die jeweils durch das abstürzende Internet abbrachen, erhalten wir einen Stapel frisch gedruckter Banknoten aus einer unverschlossenen Schublade, die als Tresor dient. Yuhuuu!!!! Der frisch gewonnene Reichtum ermöglicht uns für den Preis einer Fahrt mit der Wilden Maus auf dem Schützenfest Hannovers, einen Teil des heutigen Abstiegs stehend auf der Ladefläche eines Jeeps zurückzulegen - rund 20 Mal länger als besagte Fahrt auf dem Jahrmarkt. Am Abend stoßen wir mit in Teigmantel gehüllte und frittierte Snickers/ Mars (Snickers/ Mars Roll) auf den erfolgreich beendeten Annapurna-Umweg und zugleich unseren 300. Kilometer an.
Tag 26: Heute, in Dharapani, wo Manaslu- und Annapurna-Umrundung sich kreuzen, geht für uns das Abenteuer „Manaslu“ los. Ebenfalls in entgegengesetzte Richtung wollen wir in der kommenden Woche um den achthöchsten Berg der Welt laufen - bis wir in Lokpa auf den Beginn des tibetisch geprägten Tsum-Tals stoßen, in welches wir dann noch einen Abstecher machen wollen. Es scheint, als ginge die Wanderung von vorne los: Beginnend auf einer Höhe von 1963m passieren wir weit unterhalb der Baumgrenze Wiesen, Buchweizenfelder, Bambus-, Farn- und Kiefernwälder, in denen Affen herumturnen; gehen über Hängebrücken und kommen vorbei an Dörfern bestehend aus Steinhäusern mit blauen Zinndächern. Wie ein „Déjà vue“ geht es immer weiter ins Tal hinein; die Schneeriesen, die sich soeben noch versteckten, kommen langsam wieder zum Vorschein. In Gho weckt die idyllisch gelegene Nirvana Lodge mit Liegestühlen im Grünen unser Interesse und nach Blick auf die Zimmer, die zu diesem Zeitpunkt einem 5-Sterne Hotel gleich kommen, entscheiden wir uns, zu bleiben, die Sonne, das Nichtstun und die Erholung zu genießen. Zum ersten Mal seit langem erfreuen wir uns an unserem Spiegelbild im Spiegel des Zimmer eigenen Bades :-)
Tag 27: Noch bevor wir aufbrechen, werden wir von dem reisefreudigen indischen Pärchen, welches wir gestern Abend kennengelernt haben, zum Entspannen und Indischessen nach Gujarat eingeladen. Yuhuuu!!!!! Wir freuen uns schon jetzt schon darauf... Erst einmal geht es für uns jedoch weiter hinauf entlang der Flanken des achthöchsten Berges der Welt. Anders als entlang der Annapruna-Umrundung, auf der die meisten Güter mittlerweile per Jeep in die Berge gefahren werden können, begleiten uns hier Packesel- und Pferdekarawanen, beladen voller Güter, über die sich der westliche Reisende (und zunehmends der nepalesische Träger und Guide) nach einem langen Wandertag freuen: Pringles, Snickers, Bier, Rum, Vodka und allen voran Fanta, Sprite und Timos Favourite, Cola. In Bimthang angekommen fröhnt Timo seiner neuen Liebe, dem Schokopudding - danke Packesel ;-)
Tag 28: Hhmmmm,... - immer, wenn wir ausschlafen wollen, ist die Bergsicht so beeindruckend, dass wir nicht anders können, als aufzustehen - insbesondere dann, wenn die Umgebung bei Ankunft am Vorabend durch Wolken und Nebel verhüllt war und uns somit ihre Großartigkeit verborgen blieb. Wann immer wir von unserem langen Trek berichten, werden wir berechtigter Weise gefragt, ob wir das Wandern und die Berge noch genießen. Ja, das tun wir! Dem Himalaya zum Greifen nah zu sein und sich so winzig zu fühlen, ist jedes Mal aufs Neue faszinierend. Allerdings müssen wir auch zugeben, dass insbesondere die abendliche und nächtliche Kälte und die spartanischen Unterkünfte zunehmends an uns zehren und wir uns nach Wärme sehnen.
Die heutige Wanderung ist kurz; nach 600 Höhenmetern und vier Kilometern endet sie an einem einfachen Teezelt, wo wir die Nacht in einem Zelt verbringen werden. Es ist die letzte Nacht, vor dem Aufstieg zum höchsten Punkt der Manaslu-Umrundung, dem Larkye La (Pass).
Tag 29: Heute ist der große Tag und das letzte Mal, dass es für uns über 5000m geht. Die steilen 800 Höhenmeter überwinden wir fast im Fliegen, so gut sind wir mittlerweile akklimatisiert ;-) Dieses Mal ist es der 9km-lange sagenhafte Abstieg bis zum ersten Essensstopp nach Überqueren des 5160m-hohen Passes, der uns den Rest gibt. Dehydriert, ausgehungert, unterkühlt und erschöpft fallen wir im unsympathischen Dharamsala ein, von wo aus die meisten Trekker typischerweise den Aufstieg starten. Nach einer wärmenden und energiespenden Nudelsuppe steigen wir weitere 500 Höhenmeter nach Samdo ab - in der Hoffnung, dadurch unsere dröhnenden Kopfschmerzen und die Eiseskälte zu mindern; leider erfolglos. Ob wir uns unter diesen Umständen wohl für eine Helikopter-Rettung qualifiziert haben?
Tag 30: 14 Stunden Schlaf und ein Duscheimer heißen Wassers haben ihre Wirkung getan. Verschwunden sind die Kopfschmerzen, die Eiseskälte und die Gedanken an einen Helikopter, der uns aus den Bergen heraus, direkt in unser heimisches Bettchen und die Obhut unserer Eltern fliegt. Bevor wir zu einem Tagesausflug in Richtung tibetischer Grenze aufbrechen, wo wir hoffen, Schneeleoparden zu sichten, spazieren wir durch das sympathische traditionelle Dorf, beobachten die Frauen, die die geernetet Gerste bearbeiten und kommen ins Gespräch - sofern unser basales Nepalesisch dies zulässt. Die Gerste nutzen die Dorfbewohner zur Zubereitung von Tsampa, der tibetisch-nepalesischen Variante von unserem Haferschleim. Die Reste dienen als Yakfutter.
Yaks gibt es hier oben in Mengen, insbesondere in Richtung Grenze, wo sich kaum noch Menschen hin verirren, Schneeleoparden übrigens auch nicht ;-) Durch dieses ferne, menschenleere und karge Hochgebirge wandernd, kommen uns die Geschichten von aus Tibet fliehenden Menschen in den Sinn und wir können uns ein wenig besser die Qualen vorstellen, die die Fliehenden in der Hoffnung auf ein Leben in Freiheit, willig waren, auf sich zu nehmen. Auf dem Rückweg finden wir fernab des Dorfes einen schlafenden Jungen, nicht älter als drei, den wir zu seiner Mutter zurückbringen. Das immer noch harte körperlich fordernde Leben in den Bergen bringt eine für uns unvorstellbare (fast) unvermeidbare Vernachlässigung insbesondere der Kinder mit sich und wir trauen uns gar nicht, uns vorzustellen, was passiert wäre, wenn wir den Kleinen nicht gefunden hätten.
Tag 31: Unser Tag endet nach einem 2-stündigen Abstieg von Samdo nach Samagaon, wo wir uns ein nettes Zimmer suchen, zum ersten Mal seit fünf (!!!) Tagen duschen, Wäsche waschen und einfach nur lesen, Milchtee trinken, Tagebuch schreiben und Bilder sortieren. So ein Faulenzertag, vor allem so gut duftend, tut sooooooo gut!!! Wenn es doch nur ein bisschen wärmer wäre...
Tag 32: Nachdem wir heute Nacht von schnarchenden sibirischen Tigern im Zimmer nebenan und tanzenden Mäusen in der Küche über uns vom Schlaf abgehalten wurden, fällt es uns nicht sonderlich leicht, um 5:00 Uhr aufzustehen, um zum Sonnenaufgang zum Birendra See zu gehen, da wir hoffen, das Spiegelbild der Berge bei Sonnenaufgang im Wasser einzufangen. Doch es lohnt sich, denn siehe da: Pünktlich um 6:06 Uhr tauchen die ersten Sonnenstrahlen den Gipfel des Manaslu zuerst in rotes und dann in goldenes Licht - und das gleich zwei Mal. Frieren lohnt sich!
Als wir uns auf den Rückweg machen, wacht auch das Dorf aus seinem Schlaf auf: Der morgendliche Rauchschleier, produziert durch die Öfen, auf denen das Frühstück gart, hüllt das Dorf in den unverkennbaren Geruch nach verbranntem Holz oder Dung; die blauen Wellblechdächer funkeln in der Morgensonne; noch hängen die Gebetsflaggen träge herunter - in freudiger Erwartung auf den Wind, der uns ab spätestens 10:00 Uhr frösteln lässt. Die herbstlichen Wälder, durch die wir heute bergab wandern, duften nach „Zuhause“. Die vielen Hängebrücken und Yaks, die wundervoll verzierten Chörten am Dorfein- und ausgang sowie der uns stetig begleitende Ausblick auf den Manaslu erinnern uns daran, dass wir uns noch immer auf unserer Umrundung des achthöchsten Berges des Welt befinden.
Unsere heutige Etappe endet in Lho, einem wunderschönen ursprünglichen Dorf. Anders als in den höher gelegenen Dörfern, wo die Gersteernte in vollem Gang war, sind die Menschen hier mit der Maisernte beschäftigt. Alle sind emsig; keiner ruht. Diejenigen, die nicht dabei sind, Maiskörner von ihren Kolben zu entfernen, sind damit beschäftigt, Waren in Körben am Kopf von A nach B zu tragen: Brennholz, Kartoffeln, Kohlköpfe, Trekkingausrüstung, Geschirr, Kinder,...
Wir treffen auf eine Horde Kinder und Timo holt sogleich den Manuel Neuer raus. Auch ich spiele mit den Kleinen Ball und bevor wir uns versehen, schauen wir aus wie die Racker: unsere Kleidung und unsere Hände sind ganz schmutzig vom Staub; unsere Nasen laufen. Auch für uns gibt es heute keine Dusche und ob wir uns dazu durchringen, unsere Kleidung zum Schlafen zu wechseln, bleibt auch fraglich...
Tag 33 (+34): Nach einer ausgesprochen angenehmen Nacht, was nicht zuletzt am Rum gelegen haben mag, den uns der Teehausbesitzer letzte Nacht, um das Feuer in der Küche kauernd, zum Wärmen serviert hat, klingelt unser Wecker heute erneut früh. Doch diese Mal müssen wir zum Einfangen unseres letzten Sonnenaufgangs über dem Manaslu-Massiv weder laufen noch frieren. Wir liegen in unserem Bett und beobachten durch die schmutzige und rissige Scheibe, wie die Sonne in Zeitlupe zuerst Manaslu als höchsten Berg, dann seine zwei Nachbarn und schließlich das Dorf berührt, bis dessen noch nicht geerntete Gerstenfelder grün/gold leuchten.
Unsere Daunenschlafsäcke, hochgezogen bis über die Ohren, schützen uns gegen die Kälte, die durch die kaputte und mit Tesafilm geflickte Scheibe und durch die Schlitze im Holzverschlag den Weg ins unser Zimmer findet. Es ist vorerst die letzte Nacht, die wir in einer derart spartanischen Unterkunft verbringen. In Namrung, dem nächsten Stopp, gibt es nämlich ein Hotel mit „richtigen“, warmen Zimmern mit großzügigem mega sauberen Bad mit Heißwasserdusche, Waschbecken und Ganzkörperspiegel, Betten mit richtiger frischer weißer Bettwäsche (in den meisten Teehäusern wird die Wäsche verständlicher- und meist annehmbarerweise nur selten gewechselt), massig Steckdosen zum Laden aller Geräte und Kaffee, Apfelkuchen, Zimtschnecken und Käsebroten. Dieses Zimmer, welches umgerechnet 18€ pro Nacht kostet (ansonsten belaufen sich die Zimmerpreise auf umgerechnet 1,50€-4€; das meiste Geld verdienen die Teehausbesitzer mit Speisen und Getränken), gönnen wir uns für zwei Nächte, tanken Wärme, Energie, Schlaf und Vorfreude auf die letzten 13 Trekkingtage. Ab jetzt heißt es: Tsum-Tal wir kommen!
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