Trekking-Tagebuch Teil 2: In eisige Höhen
Tag 15: Leider erlaubt uns Sishir heute nicht, auszuschlafen - und das obwohl unsere Betten so gemütlich sind. Es soll mal wieder winden... Über einen wunderschönen Wanderweg geht es entlang sich gelb färbender Wälder bergauf nach Muktinath. Muktinath ist auf der Welt einzigartig, denn hier treffen vier Elemente aufeinander: Wasser, Erde, Luft und Feuer (es ist wahr, wir haben die Flamme im Tempel aus der Erde kommen sehen!). Beste Vorraussetzungen also, um den Ort zu einem hinduistischen Pilgerziel zu erklären, einen Tempel zu errichten, eine betonierte Straße in die Berge zu zimmern und Pferderitte vom Busparkplatz zum Tempel für die bequemen Inder und Nepalis anzubieten. Zufälligerweise ist Muktinath auch der erste Stopp der Trekker, die vom Thorung La, dem 5416m-hohen Pass der Annapurna-Umrundung, kommen und somit 1700m abgestiegen sind und bereit sind, jeden Preis für Pizza, Bier, eine heiße Dusche, ein westliches Klo und ein halbwegs warmes Wind dichtes Zimmer zu zahlen - Hinduismus meets Kapitalismus ;-) Auch wir freuen uns über den Standard, den Kaffee mit richtiger Milch und gönnen uns eine Pizza.
Tag 16: Ausschlafen!!!! Erst danach gehen wir mit Sishir in den berühmten Tempel Muktinaths. Plötzlich fühlen wir uns wie mitten in Indien. Die Atmosphäre ist magisch und die Praktiken der Hindus sind wie immer spannend, wenn auch nicht ganz verständlich: Hier sitzt ein Sadhu und bittet um Geld und Essen, dort halten Menschen Köpfe unter Wasser, zünden Kokosnüsse an, opfern Reis, bemalen ihre Stirn mit Tikkas,... Sishir ermuntert uns, mit ihm die vielen Glocken zu läuten, die entlang des Tempelareals angebracht sind - es soll uns Glück bringen für die morgige Passüberquerung, denn wir wollen von dieser Seite über den 5416m-hohen Thorung La steigen und ein bisschen Glück brauchen wir dafür auf jeden Fall.
Timo und ich haben uns entschlossen, die zwei Treks, die wir in Nepal laufen wollen, den Upper Mustang Trek und die Manaslu-Umrundung mittels eines Teils der Annapurna-Umrundung zu verbinden, um somit die Nerven aufreibende Busfahrt aus dem Tal raus und ins andere Tal rein zu vermeiden. Läuft man in der „richtigen“ Richtung um den Annapurna gibt es alle 500 Höhenmeter eine Herberge, sodass man am Schluss „nur“ 500 Höhenmeter bis zum Pass aufsteigen muss und optimal akklimatisiert ist. In die entgegengesetzte Richtung gibt es diese Infrastruktur nicht, sodass uns am Folgetag ein Aufstieg von 1200m bevorsteht; den Vorsprung von 500m von Muktinath nach Charabu laufen wir bereits heute - wie auch zwei verrückte Südafrikaner, Steffen und André, im Alter unserer Väter, die das Ganze mit Fahrrädern unternehmen wollen. Noch fällt es uns sehr sehr schwer, uns vorzustellen, dass wir morgen sechs Stunden, also mehr als einen sechs-stündigen Schultag, bergauf laufen werden...
Tag 17: Unser einziges Tagesziel heute ist es, den Thorung La zu überqueren, ohne vorher höhenkrank zu werden und im schlimmsten Fall vor Kopfschmerzen, Übelkeit oder gar Erbrechen umkehren zu müssen. Um 5:00 Uhr geht es im Dunkeln mit Stirnlampe los. Es ist eisig! Gaaaaanz langsam setzen wir einen Fuß vor den anderen; dabei bewegen wir zusätzlich die Zehen und Finger, um sie warm zu halten. Nach einer Stunde machen wir uns Musik an. Auch wenn die Musik viel zu schnell ist, lenkt sie uns vom Aufstieg ab und macht uns gute Laune. Fehlen nur noch Vodka und Brause und die Party wäre perfekt.
Mit Erreichen der 5000m erreicht uns auch endlich die wärmende Sonne. Noch 416 Höhenmeter... So langsam stellt sich ein Gefühl der Erleichterung ein, denn wir werden es schaffen. Während der letzten 200 Höhenmeter, der schlimmsten, da das Atmen sehr sehr schwer fällt, muss Timo mich nochmal richtig bestärken. Meine Energie lässt nach; das Porridge vom Morgen ist längst verbraucht. Doch dann... Ich sehe die im Wind wehenden Gebetsflaggen des Passes, Sishir wartet bereits darunter, um die letzten Schritte gemeinsam mit uns zu gehen... und... wir haben es geschafft - pünktlich zum Stundenende der 5. Stunde!!!! In rekordverdächtigen 4:38 Stunden!!!!
Es folgen Umarmungen, Anstoßen mit Tee und eine ausgiebige Fotosession. Leider haben die Anstrengung und sicherlich auch die Höhe und das wenige Essen bei mir mega Kopfschmerzen hinterlassen, sodass ich die atemberaubende Schnee- und Eislandschaft auf der anderen Passeite, die in so starkem Kontrast zu der Landschaft Mustangs steht, während des Abstiegs kaum genießen kann; Timo genießt dafür doppelt: die Natur zum Fotografieren und den Apfelkuchen nach der Ankunft in Thorung Phedi. Auf der Annapurna-Umrundung zu sein heißt nämlich nicht nur von weitaus mehr Trekkern als in Mustang umgeben zu sein und minimal komfortablere Unterkünfte genießen zu dürfen, sondern vor allem kulinarisch verwöhnt zu werden mit Backwaren und allerlei Käsespezialitäten ;-)
Tag 18: Nach der bislang kältesten Nacht auf 4800m geht es heute runter nach Manang, in das Dorf auf der Annapurna-Umrundung, in dem die meisten Trekker zwei bis drei Tage zur Akklimatisierung verweilen. Auf 3500m gelegen erwarten uns dort deutlich wärmere Temperaturen. Die Dichte der Dörfer und Teehäuser unterwegs ist hier sehr hoch, sodass wir nicht nur einmal die Gelegenheit nutzen, in den wunderschönen mit Blumen angelegten Gärten Tee zu trinken und den Ausblick auf die Berge Gangapurna und die Annapurnas zu genießen. Sishir ist für uns mittlerweile weitaus mehr als Träger und Guide. Die Erlebnisse der vergangenen Wochen haben uns zusammengeschweißt und so sind wir vielmehr eine Dreiergruppe geworden; unser Nepalesisch erweitert sich dabei stetig.
Ähnlich wie die Hindis nutzen die Nepalis Bezeichnungen wie Tante, Onkel, kleiner Bruder, großer Bruder,... um einander auch unbekannterweise anzusprechen. Möchte man eine eher junge Frau ansprechen, so sagt man hier also „Didi“ (Tante), eine ältere Frau spricht man mit „Amma“ (Mutter) an. Witzigerweise nutzen auch Eheleute Anreden wie „Ehemann“ (budda) und „Ehefrau“ (buddi). „Dick“ haben wir herausgefunden, heißt „mudda“ für Männer und „muddi“ für Frauen. Wie ihr euch vorstellen könnt, haben wir viel Spaß mit diesen Nepalesischkenntnissen ;-)
Tag 19: Nichtstun!!!!!!! Ausruhen!!!!
Tag 20-22: Die kommenden drei Tage machen wir einen Abstecher zum Tilicho See, dem größten höchstgelegenen See der Welt - laut nepalesischer Vermarktungsstrategie und Lonely Planet. Am Morgen des 3-tägigen Ausflugs stattet uns Sishir mit Malas aus. Das sind glücksbringende bunte Bänder, die sich Hindus um den Hals binden, nachdem sie sie im Tempel haben weihen/ segnen lassen. Sishir hat eine ganze Tüte davon dabei. Warum ausgerechnet heute? Zu Timos Gefallen gehört zu der Minizeremonie, dass wir ein paar zuckersüße Perlen zu uns nehmen :-) Erst nach unserem Mittagsstopp, während dessen wir Femke und Jeffrey aus den Niederlanden kennenlernen, als wir ein riesiges Geröllfeld betreten, ahnen wir warum...
Der Weg ist mal wieder spektakulär und die Landschaft beeindruckt uns mit ihrer Vielfalt jeden Tag aufs Neue: Heute bunte Wälder, Geröll und spitze graue Hügel, am Tag darauf dann das Highlight, der unglaublich blaue Tilicho See auf 4900m.
Zurück in Manang füllen wir unsere Snack- und Yakkäsevorräte auf, stoßen mit Cider (und Guavensaft für Sishir, der den Alkohol nicht veträgt,) auf den zweiten Teil des Treks an und laden den zweiten Trekking-Blogartikel hoch, bevor es die nächsten drei Tage Tal abwärts gehen wird, bis wir in Dharapani auf die Manaslu-Umrundung stoßen und damit wieder in eisige Höhen zurück kehren.
Euch allen wünschen wir entweder schöne Ferien oder einen wunderschönen goldenen Herbst und viel Spaß beim Lesen und Ansehen der Fotos!
Viele Grüße aus dem Himalaya senden euch „mudda budda“ und „muddi buddi“ ;-) (Übersetzung s.o.) und Sishir.
Beeindruckend! Sowohl eure großartige Beschreibung als auch die Fotos - tolle Farben, und wahrscheinlich sind die Farben "in Wirklichkeit" noch besser! Mehr! Liebe Grüße aus (der) Celle!
AntwortenLöschenMoin Peter, vielen Dank für dein Lob 😊 Ja, man bekommt diese wunderschöne Landschaft hier wirklich kaum auf die Linse! 📸 Bald gibt es Nachschub! Liebe Grüße auch an Nicole 👋
LöschenHallo ihr Weltenbummler,
AntwortenLöschenimmer wieder schön von Euch zu lesen bzw.Eure Bilder zu bestaunen.Die farbenfrohen Gebäude....da bekommt man Fernweh .Geniesst die schöne Zeit.Wir haben hier einen herrlichen Oktober mit traumhaften sommerlichen Temperaturen bis zu 27Grad.
Liebe Grüsse aus Kassel
Hallo Renate, schön von dir zu hören 😃 Eine kleine Hitzewelle könnten wir jetzt gut gebrauchen 😆 Hier oben ist es nachts nämlich ziemlich eisig ❄️ Schon bald geht’s in die tropische Zone - da tauen wir hoffentlich dann wieder auf 😉 Liebe Grüße nach Kassel 👋
LöschenHallo Ihr Lieben, klasse Fotos mal wieder. Interessant was junge Menschen alles so tun in ihrer Lebenszeit denke ich mir gerade... Freue mich für und mit Euch! Kommt gut zurück! Liebe Grüße von uns allen aus KL.
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