Into the Wild
Ganz langsam verschwindet die Sonne hinter dem Horizont. Meine Uhr zeigt 1:00 morgens an. Normalerweise sind wir um diese Uhrzeit schon in unserem Zelt und schlafen, was dank unserer Schlafbrillen auch meist sehr gut klappt. Heute jedoch sind wir am nördlichsten Punkt, den wir während unserer Alaskareise erreichen werden, knapp unterhalb des nördlichen Polarkreises, und wollen beobachten, wie bzw. wo die Sonne gleich, kurz nachdem sie untergegangen ist, wieder aufgeht.
Timo, im Autositz neben mir, ist bereits eingeschlafen, müde von den Ereignissen der letzten Tage und von dem Schlafmangel, der mit diesen langen sonnigen Tagen unweigerlich einhergeht. Zum ersten Mal seit langem haben wir das Gefühl unendlich viel Zeit zu haben - und irgendwie stimmt das ja auch. Keine bestimmte Uhrzeit, bis zu der wir einen geeigneten Stehplatz für Auto und Zelt gefunden haben müssen, keine bestimmte Uhrzeit, bis zu der wir von einer Wanderung oder Paddeltour heimgekehrt sein sollten, keine bestimmte Zeit, ab der wir müde werden, weil es draußen dunkel wird. Und so haben wir in unserer ersten Woche hier schon ganz schön viel erlebt, denn nicht selten kam es vor, dass wir erst um 8:00 abends mit unserem aufblasbaren Kayak zu einem abgelegenen Zeltplatz gepaddelt oder zum Wandern aufgebrochen sind.
Unser Highlight bislang war eine mehrtägige Backpackingtour im Denali Nationalpark, einem Naturschutzgebiert der Größe Portugals, jedoch mit nur einer Straße und keinerlei Bebauung, keinen Wanderwegen oder Brücken. Auf der einen Straße verkehren Nationalpark-Busse, amerikanische Schulbusse in Grün, die eine beschränkte Zahl an Wanderern mit vorher erworbenen Wandergenehmigungen zum Trekken absetzen und jederzeit im Vorbeifahren wieder einsammeln.
Um die Wandergenehmigung zu erhalten, wählt man sich eine oder auch mehrere der über 80 Units aus und erhält eine Sicherheitseinweisung von einem Parkranger, was die Begegnung mit wilden Tieren, wie Bären, Elchen und Wölfen, die richtige Zeltplatzwahl, das Queren von Flüssen und Gletschern, die (Wasser)versorgung und das Verhalten im Notfall angeht. Zusätzlich dazu wird man mit Karten und einem kleinen geruchundurchlässigen Fass ausgestattet, in dem man Essen, Müll und Hygieneartikel verstaut, sodass es die Bären nicht anzieht. Und dann ist man bereit zum Abmarsch.
Wir hatten uns zwei Units am Ende der Straße ausgewählt und die Fahrt dorthin war bereits atemberaubend. Rote, braune, graue und weiße Berge, so weit das Auge reicht, davor saftig grüne Wiesen und Fichtenwälder, hier und da ein Elch, viele Karibus und sogar ein paar Bären und Wölfe. Nach und nach leerte sich der Bus, bis nur noch Timo und ich darin saßen.
Und als Frank, unser Busfahrer uns nach vier Stunden absetzte und nach einem kurzen "Be safe and enjoy your trek" davonfuhr, war uns schon etwas mulmig zu Mute.
Den Gedanken daran, was wir wohl tun würden, sollten wir tatsächlich mal einem Bären gegenüber stehen, verdrängten wir soweit es geht. Zum Glück waren unsere Units relativ wenig bewaldet und somit gut einsehbar. Letztendlich sind uns während dieser drei Tage keine Bären begegnet. Auch Menschen haben wir keine getroffen; nur wir zwei in endloser unberührter Natur - ein Traum.
Insgesamt haben wir uns tapfer geschlagen und das trotz dauerhafter nasser Füße (wegen der vielen Fluss- und Bachquerungen) und Moskitoschwärme, die uns jedoch dank unserer Kopfnetze, nicht ganz so viel ausgemacht haben. Nur Essen mit Gesichtsbedeckung ist schwierig, da muss der Partner dann schon einmal mit der Karte den Mund freiwedeln, bevor er selbst essen darf.
Aber irgendwie sind wir einfach Glückspilze und die Moskitos weilten nie lange mit uns, denn es kam meist dann Wind auf, wenn wir ihn brauchten. Glücklich schätzen wir uns auch, weil wir Mount Denali (auch bekannt unter dem Namen Mount McKinley), Amerikas höchsten Berg, mehrmals während dieses Treks haben sehen dürfen. Mit seinen mehr als 6000m ist dieser doppelt so hoch wie alle umliegenden Berge und wird somit seinem Namen "the high one" wahrlich gerecht.
Es ist nun 1:24 Uhr; die Sonne ist bereits minimal weiter östlich wieder aufgegangen. Zeit, ins Bett zu gehen ;-)
Bald dann mehr vom Süden Alaskas mit seinen Gletscher- und Fjordlandschaften.
Happy 4th of July, Hanna und Timo
Wie coool :) Danke Euch, viel Spaß weiterhin! :)
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