„Hey Joe“ oder Radfahren auf den Philippinen
„It’s more fun in the Philippines“ prophezeite uns eine philippinische Reisegruppe, die wir bei einer Kirchenbesichtigung in Armenien trafen, bei Minusgraden, zitternd vor Kälte. Was ein Zufall, dachten wir, denn zu diesem Zeitpunkt hatten wir die letzte Reise unseres Sabbatjahres, auf die Philippinen, bereits ins Auge gefasst, in freudiger Erwartung dem europäischen Winter noch ein letztes Mal zu entfliehen und vor dem Wiedereinstieg ins Berufsleben Sonne zu tanken.
Zu diesem Zeitpunkt war uns jedoch nicht bewusst, dass die Worte der philippinischen Frauen dem Motto der philippinischen Tourismusbehörde entsprechen. „It’s more fun in the Philippines“ werden wir wenige Wochen später also auch am Flughafen in Manila begrüßt und über die Bildschirme auf diversen Fähren immer wieder erinnert. Dabei bedarf es dieser Tatsache gar keine Erinnerung. Die Philippinen sind ein (Rad)Reisetraum: Super Teerstraßen entlang der Küste und durch die Berge, abenteuerliche Pisten durchs abseits gelegene Hochland, ein moderates hauptsächlich aus Mopeds und Rikschas bestehendes Verkehrsaufkommen mit rücksichtsvollen Fahrern, einfache Hostels oder Homestays und schöne Resorts in angenehmen und nur manchmal herausfordernden Abständen, häufige Radreperaturshops und Verpflegungsmöglichkeiten, sogenannte Sari-Sari Shops, Marktstände und lokale Garküchen am Straßenrand, Massagen ab 8€ pro Stunde, stabile 30 Grad im Januar, saftiges Grün wohin das Auge blickt, tropische Früchte satt, günstiges lokales Essen und frische Obstsäfte, abertausende Kilometer Palmen bewachsener Küstenlinie, weiße Sandstrände, faszinierende Unterwasserwelten und die gefühlt glücklichsten Menschen der Welt.
Im Internet hatten wir Jens Funke ausfindig gemacht, Inhaber von „Bugoy Bikers“, einem Hostel und Radverleih in Cebu City. Bei ihm leihten wir uns zwei Räder inklusive Satteltaschen. Gewappnet mit vielen hilfreichen Tipps des deutschen Radliebhabers, der die Philippinen wie seine eigene Satteltasche kennt, fuhren wir drei Wochen von Cebu über Negros nach Siquijor und Bohol.
Sari-Sari Shops am Straßenrand ermöglichen willkommene Pausen bei Nescafé, selbstgemachten Klebreissnacks, Chips, Cola und allem, was sonst noch Kraft gibt.
Egal ob jung oder alt, ob als Vorbeifahrender auf einem überbeladenen Moped, Tricycle oder Truck, ob während der aufreibenden Arbeit auf den Reisfeldern oder im Straßenbau, das charismatische Lächeln, das begeisterte Winken und die einprägsamen Freudenschreie insbesondere der kleinsten Sonnenscheine geben uns Energie und Verwandeln unsere Radtour in eine Art Computerspiel: Ein wortloses Winken 20 Punkte, ein breites Grinsen und Winken 30 Punkte, eine Kombination aus Winken, Lachen und einem aufmunternden lang gezogenen „Hiiiiiiiiii“ 40 Punkte; der Jackpot, 50 Punkte, für ein vorlautes aberwitziges „Hey Joe“, was soviel bedeutet wie „Hallo Amerikaner bzw. Ausländer“ (ähnlich dem südamerikanischen Gringo, jedoch positiver). Wir sammeln also tagein tagaus Punkte und gehen am Abend garantiert nie mit unter 1000 Punkten ins Bett. Da sind Muskelkater und Erschöpfung schnell vergessen und die Vorfreude auf den nächsten Tag im Sattel ist riesig.
Punta Bulata Beach
Eine fast leere Rikscha fährt vorbei. Meist sitzen in den dreirädrigen Gefährten so viele wie irgendwie reinpassen.
Ein Meer aus Reis
Es macht tatsächlich mehr Spaß, Kirchen bei Sonnenschein und Plusgraden zu besichtigen.
Gelegentliche Freuden in den wenigen größeren Städten, die wir passieren: richtiger Kaffee, eisgekühlt UND tägliche Freuden: High Fives mit freudigen Kindern, manchmal ganzen Schulklassen auf ihrem Nachhauseweg.
In Anbetracht dieser glücklichen Menschen und beim Gedanken an unsereins, die wir im Alltag deutlich weniger die Mundwinkel nach oben ziehen, denken wir viel über Glück nach. Wieviel braucht es um glücklich zu sein? Wieviel weniger ist mehr? Wirken die Menschen unbeschwerter weil sie mehr Zeit haben, weil ihr Leben langsamer vonstatten geht, weil die Sonne immer scheint und es immer grün ist, weil die philippinische Weihnachtszeit vier Monate lang gefeiert wird, weil sie weniger Nachrichten und Medien im Allgemeinen konsumieren?
Nicht ganz so lecker wie in Thailand, aber dankenswerterweise vegetarisch: Curry und Lumpia, Frühlingsrollen.
Geflutete Reisfelder
Dem philippinischen Mittelstand geht es sichtbar gut. In exorbitanten Malls mischen sich amerikanischer und chinesischer Materialismus. Konsumwahn und Völlerei kennen keine Grenzen. Das Geschäft boomt, die Mittelklasse genießt ihren Wohlstand. Doch objektiv betrachtet lebt die Mehrheit der Bevölkerung weit entfernt von dem Naturparadies, durch das wir als Besucher reisen dürfen, und den Schlemmertempeln und Shoppingzentren, in denen die wenigen Besserverdiener ihre Freizeit und finanzielle Sicherheit genießen können.
Viele Menschen leben in spartanischen Holzhütten, die instabiler und kleiner sind als das Baumhaus meiner Nachbarinnen. Naturkatastrophen wie Tsunamis, Taifune und Hochwasser sind genauso Bestandteil des Alltags wie fatale Tropenkrankheiten und Kindersterblichkeit. Allernorts werden Besucher und Bevölkerung aufgefordert, Vorkommnisse von (Kinder)Prostitution, Drogenschmuggel und Menschenhandel zu melden; die Polizei, so hören und lesen wir, drückt wie gewohnt bereitwillig ein Auge zu. Wie auch schon auf Kuba sehen wird hierzulande viele junge Philippinas, die sicherlich nicht immer freiwillig mit wohlhabenden westlichen Männern mit dem Ziel der Einkommensaufbesserung, Gesundheits- und Altersvorsorge verheiratet (worden) sind. Die Bauern und die Bevölkerung vornehmlich kleiner Inseln werden mit Wasserknappheit, insuffizienter Müllentsorgung und verunreinigtem Grundwasser von der Regierung allein gelassen. Zwar erleben viele im Zuge steigender Touristenzahlen finanziellen Aufschwung, doch Letztere drohen auch die Probleme der ländlichen Lokalbevölkerung zu intensivieren.
Sonnenaufgang bei den Chocolate Hills auf Bohol; am Ende der Trockenzeit haben sich die Berge, bräunlich verfärbt, wie Schokolade von ihrer grünen Umgebung ab.
Eine Garküchenbetreiberin, mit der wir ins Gespräch kommen, verrät uns ihr Geheimnis: „Wenn ich Probleme habe, lache ich. Schon wirken meine Probleme kleiner.“ Begeistert von der positiven Lebenseinstellung nehmen wir uns ganz fest vor, wenn unser Alltag mal wieder etwas schwerer wiegt, zu lachen.
Blick auf die Insel Negros von San Juan, Siquijor.
Und sollte das Nachahmen der Leichtigkeit der lebensfrohen Philippinos nicht gelingen, helfen bestimmt unsere Erinnerungen an unsere dreiwöchige 940km-lange Radtour auf den Philippinen; Erinnerungen an den öligen Geruch von am Straßenrand trocknender Kokosnüsse, an den verführerischen Geschmack zuckersüßer Mangos, an den bezaubernden Anblick bunter über Leitplanken und Zäunen liegender bzw. auf Leinen gespannter Wäsche, an den unvergleichbaren Duft exotischer Blumen, an das ohrenbetäubende Geräusch zum Hahnenkampf gezüchteter Hähne, an die ungebrochene Faszination mit Schildkröten zu schnorcheln und an die kreativen Weihnachtsdekorationen, wie Schneemänner aus weiß gestrichenen Autoreifen oder Sand, Weihnachtsmänner, die sich von Palmen abseilen und Sterne und Tannenbäume aus recycelten Plastikflaschen.
... Erinnerungen an den süß-sauren Geschmack von in Sojasauce getränkter Bratnudeln, an die eindringlichen Blicke der süßen Tarsiere, der kleinsten Affen der Welt, an die traumhaften Ausblicke auf das tiefblaue Meer, an den schönen Gesang sonntäglicher Gottesdienstbesucher und an das schrille Gejaule untalentierter Karaoke-Sängerinnen, an die wohltuenden Pausen im Schatten meterhoher Palmen, an das sanfte Wiegen unseres entspannten Körpers in einer Hängematte, an das unendliche Jucken fieser Bettwanzen, an die religiösen Mottos auf den kunstvoll verzierten Rickschas und aufgepimpten Jeepneys, wie „Team God“, „Only God knows“,... an die würzigen Pommes von Jollibee, der einzigen lokalen Fast-Food Kette weltweit, die McDonalds den Rang abläuft, und an die malerischen Abschiede der glühenden Sonne, von der wir, wie erhofft, haben eine große Ration tanken können.
Pancit, Bratnudeln
Am Straßenrand, auf Basketballplätzen oder in Vorgärten; überall wird Reis getrocknet.
Nichts wie los... Auf die Philippinen!
Wow wieder einmal grandios zu lesen.
AntwortenLöschenWir kommen Philippines.