Driving home for Christmas once more
Barev! An unserem ersten Morgen in Armenien - wir haben die Nacht auf einem Feldweg geparkt - passieren ein Mann und eine Kuh unser Auto. Wir sind noch in unseren Schlafsäcken, als wir hören, wie sich die Kuh an unserem Auto entlang schiebt und der Mann sie vorantreibt. Wir spähen aus dem Fenster und staunen nicht schlecht, als der Armenier weder anklopft noch reinschaut, denn eine derart kontaktlose und schweigsame Begegnung wäre im Iran undenkbar gewesen.
Altbekannte Gesichter: Deutschlands Abfrackprämie?
Doch schöne Begegnungen gibt es natürlich trotzdem. Bei einer Wanderung zu einer Kirche beispielsweise treffen wir auf fünf Armenier, die gerade dabei sind, einen Picknicktisch zu decken und uns spontan einladen. Und auch hier wieder merken wir, dass wir nicht mehr im Iran sind. Es gibt Schweinefleisch und anstelle des iranischen Whiskys, wie ein älterer Mann im Iran Tee bezeichnete, gibt es hier garantiert nur Hochprozentiges, selbstgebrannten Pfirsichschnaps, russischen Vodka und selbstgemachten Wein aus einem überdimensional großen Einmachglas. Und dann stoßen wir rundenweise auf alles Erdenkliche an: auf eine Männerrunde mit nur einer Frau, auf Armenien und Deutschland, auf die Begegnung, auf die Kirche, ... und am Schluss, als wir schon im Begriff sind zu gehen, werden die Gläser noch ein letztes Mal gefüllt und wir stoßen auf unseren sicheren Abstieg bzw. deren sichere Autofahrt an. Am Ende des Picknicks drücken die Männer auch mich und wir stolpern gewärmt und beschwingt den Berg wieder hinunter, inkl. Wegeswein, den uns die Männer noch in einer Colaflasche mitgeben wie sie auch am Straßenrand verkauft werden, um auf dem Weg in den Iran als Schmugglerware getarnt zu sein.
Tsakhatsqar Kloster im Yeghegis Tal
In Armenien ganz berühmt: Chatschkars, kunstvoll behauene Steinstelen
Der Kontrast zum Iran könnte auch in anderer Hinsicht kaum größer sein. An den Bankautomaten erhalten wir mit unserer Visakarte wieder Geld, die Frauen tragen keine Kopftücher mehr und die bunt verzierten Moscheen existieren nur noch in unserer Erinnerung. Im wahrsten Sinne des Wortes steinalte Kirchen und Klostergemäuer, deren einzige Wärme von den Kerzen der Gläubigen ausgeht, stehen meist einsam in der Bergwelt Armeniens. Wir spüren, dass wir nicht mehr in einem Wüstenstaat reisen, denn Brunnen mit trinkbarem Wasser befinden sich hinter jedem Pass und bei jeder Kirche - und beides gibt es in Armenien zu Genüge. Wasservorräte auffüllen, Geschirr- und Gesichtswäsche sind somit kein Problem mehr und Körperwäsche erledigt sich bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt ja eh. Das Verkehrsaufkommen unterbietet selbst das auf der Autobahn nach Wilhelmshaven und teilweise sind die Straßen so ausgestorben, dass wir unsere Pilgerfahrt durch Armenien richtig genießen können.
Gndevanq Kloster bei Jermuk
Wir spüren die Strecke, dir wir seit Beginn zurück gelegt haben, denn an den Innenrückspiegeln der tiefer gelegten Autos baumeln weder Buddhas noch Gebetsketten, sondern Kreuze. Wir merken wahrlich, in einem Land angekommen zu sein, in dem Abendmahl gefeiert wird, denn in den Weinanbauregionen säumen Weinverkaufsstände die Straßen und in den Geschäften spürt man wiederum den russischen Einfluss, denn die Vodkaregale sind bis oben voll. Ein Hauch von Weihnachten macht sich bemerkbar, denn auch Weihnachtstee, Schoko-Weihnachtsmänner, Lebkuchen und Weihnachtsdekorationen deuten darauf hin, dass wir die islamische Welt nun endgültig hinter uns gelassen haben und Deutschland zumindest kulturell gesehen ganz schön nah sind.
Kloster Noravank
Kloster Khor Virap; im Hintergrund Mt. Ararat (5137m) in der Türkei
Ein bisschen sentimental sind wir, als wir vorerst ein letztes Mal eine neue Flagge fürs Auto kaufen, den Wechselkurs einer neuen Währung verinnerlichen und uns mit den Basics einer neuen Sprache vertraut machen. Und ein bisschen traurig ist es irgendwie schon, als wir unseren Poputschik an einem Campingplatz winterfest machen, unterstellen und mit unseren Rucksäcken geschultert in einer Marschrutka nach Eriwan, der Hauptstadt Armeniens aufbrechen, um von dort unseren Rückflug anzutreten. Doch die Reise geht weiter... Im Frühjahr werden wir zurückkehren und langsam den Bus gen Westen fahren. Georgien, Aserbaidschan, die Türkei,... - noch sind wir nicht am Ende der Seidenstraße angelangt und wie Freya Stark, eine englische Forschungsreisende des 20. Jahrhunderts, deren Faszination für das Reisen und die orientalische Welt wir teilen, sagte: „Ich habe keinen Grund zu fahren, außer dass ich noch nie dort gewesen bin, und Wissen ist besser als Unwissenheit. Was könnte es für einen besseren Grund geben, um zu reisen?“
Orbelian Karawanserei am Selim Pass
Hayravank Kloster am Sevan See
Doch ein bisschen stolz sind wir auch, auf den Weg, den wir zurück gelegt haben und auf die Hürden, die wir gemeinsam gemeistert haben. Wir erinnern uns an den Beginn unseres Sabbatjahres bzw. denken an April zurück, als wir zum Abenteuer Seidenstraße aufgebrochen sind. Wir wollten einem der wichtigsten Handelswege zwischen Ost und West nachreisen und sehen, wie sich Religionen, Kulturen und Völker entlang dieser Länder damals und heute beeinflusst haben.
Bei dem Gedanken daran, Weltgeschichte im wahrsten Sinne des Wortes „erfahren“ zu haben, fühlen wir uns auch ein bisschen demütig. Wir haben Wundervolles gesehen und wunderbare Menschen getroffen, die alle Spuren hinterlassen haben. Viele der Einheimischen, die wir kennengelernt haben, bewundern wir für ihr Durchhaltevermögen und ihre Entschlossenheit, ihre Zuversicht, Gastfreundschaft und Menschlichkeit. Wir danken diesen Menschen für das Lachen, das sie uns schenkten obwohl ihnen bestimmt nicht immer zu lachen zu Mute war und für die Großzügigkeit, mit der sie uns begegneten, obwohl sie selbst nicht viel haben. Viele der Reisenden, deren Bekanntschaft wir machten und deren Freundschaft wir schlossen, inspirierten uns - und das nicht nur mit Reisezielen für die kommenden Jahre. Warum nicht mal mit dem Fahrrad oder per Anhalter um die Welt? Oder zu Fuß? Unter freiem Himmel schlafen oder noch mit Ende 70 allein in ein Land dessen Sprache man nicht versteht? Sie bestärkten uns in unserem Glauben an die Macht der Möglichkeiten und in unserem Vertrauen in unsere Träume, in uns selbst und in unsere Mitmenschen.
Herbstliche Wanderung zum Haghpat Kloster
Armenien ist das perfekte Land, um nach einer so langen Reise abzuschließen, um das Erlebte revue passieren zu lassen - und um ein bisschen weiter zu träumen. Hier jagt kein Highlight das nächste und hier begegnen wir nicht jeden Tag neuen Menschen, weder Reisenden noch Einheimischen. Langsam und gemütlich lassen wir die Zeit ausklingen, genießen den Schnee und die Vorfreude auf das Wiedersehen mit Familie und Freunden und trainieren für die Weihnachtszeit in Deutschland. Letzteres geht in Armenien besonders gut mit selbstgemachtem Glühwein aus leckerem Granatapfelwein. Hmmmmm....
Kloster Geghard
Wir freuen uns darauf, endlich die Plätzchen zu essen, die unsere Mütter und Neffen seit Wochen fleißigst gebacken haben und sehnen zudem Pesto, getrockneten Tomaten, Aufläufen, Körnerbrötchen,... entgegen, denn aufgrund winterbedingter eingeschränkter Kochmöglichkeiten bestanden unsere Abendessen in den letzten Wochen hauptsächlich aus praktischen und wärmenden (Nudel)Suppen. Wir freuen uns auf regelmäßige heiße Duschen und darauf, beim Anmachen des Lichts nicht bangen zu müssen, dass sich die Autobatterie zu schnell entlädt.
Und wenn man von den Klöstern „genug“ hat, besucht man den armenischen Buchstabenwald; hier das „T“.
Und am Ende sind wir einfach nur baff, denn nach drei Wochen des Reisens durch Armenien, haben wir keine Ahnung, wie der armenische Präsident aussieht ;-)
Bis ganz bald! Timo und Hanna, jetzt wieder als Backpacker unterwegs.
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