Offroad durch Kirgistan


Wir sind ja selten auf der Jagd nach Rekorden, doch vor ein paar Tagen wurde es dann doch rekordverdächtig und dass nicht nur, da wir uns tagelang in 10 Grad kaltem Wasser gebadet/ gewaschen, sieben Nächte in Folge auf über 3000m geschlafen und vier Tage lang kein Geld ausgegeben haben: Wir haben einen Hirten kennengelernt, der 1000 Schafe besitzt. Tausend!!!!! Mehrmals mussten wir nachfragen, ob wir die Zahl auf russisch auch wirklich richtig verstanden hatten. Voilà, das ist er, unser Rekordhalter:  


Nadarbek, 33, Vater von drei Kindern und Besitzer von zwei Hunden (Rex und Bingo), einem Pferd und 1000 Schafen - das sind fast so viele Schafe, wie unsere Schulen Sch... haben ;-) Wir haben den Halbnomaden, der während der Sommermonate in einer Yurte in den Bergen (Jailoo genannt) und im Winter in einem Haus im Tal lebt, kennengelernt als wir eines verregneten Tages während eines Schönwetterlochs Mittagspause gemacht und Nudelsuppe gekocht haben. Ob wir Zigaretten zum Aufwärmen hätten, fragte er und war uns mit seinem ansteckenden Lachen sofort sympathisch. Schließlich gab es nicht nur Zigaretten zum Aufwärmen gegen die nasse Kälte auf über 3000m, sondern auch eine Nudelsuppe, Cola und Schokolade, die wir mit ihm teilten. Zu gerne hätten wir gewusst, ob das Essen für ihn Abwechslung oder Geschmacksexplosion war oder ob er bis zuletzt vergebens auf die Fleischbeilage gewartet hat. 



Yurten am Song Köl, einem Gebirgssee auf 3000m

Der „Tündük“, das mittlere Dachgestell, das auch auf der kirgisischen Flagge und dem kirgisischen Vodka zu sehen ist, hält die Yurte zusammen.



Die Zigaretten hatte übrigens ein besoffener Kasache, dem wir eine Mitfahrgelegenheit geboten haben, in unserem Auto liegen lassen. Wir hatten sie aufgehoben, um uns aus den berüchtigten willkürlichen Fängen der hiesigen Polizei mit Zigaretten freizukaufen, doch bei Nadarbek waren sie definitiv besser angelegt  - und noch hat uns die Polizei, die an den befahreneren Straßen in Massen auf unschuldige Autofahrer lauert, noch nicht grundlos angehalten (toi, toi, toi!). Um auf Nummer sicher zu gehen, haben wir den Zigarettenvorrat wieder aufgefüllt; man weiß ja nie - wir haben ja noch ein ganz schönes Stück Strecke vor uns...


Milchpackungen Kyrgiz Style: Yurten und Männer mit Spitzhüten



Bei einem Workshop lernten wir, wie eine Yurte aufgebaut wird. Ohne einen einzigen Nagel werden die Hölzer miteinander verzahnt und verbunden. 

Entspannung am Yssyk Köl, dem zweitgrößten Gebirgssee der Welt (nach dem Titikakasee) auf 1600m; manchernorts fühlt man sich wie am Meer.


Komfortable Touristenyurte



Momentan sind wir in Osh, wo wir vor zweieinhalb Monaten aus China angekommen sind und wo wir unser Auto gekauft haben. Seit dem Kauf unseres Busses sind wir 7000km gefahren und haben uns Deutschland kein Stück genähert. Wir waren der chinesischen Grenze in den letzten Tagen näher als je zuvor seit Verlassen des Reichs der Mitte und manchmal kommt uns der Weg nach Hause und all das, was es unterwegs zu erleben und zu entdecken gibt, fast unüberwindbar vor. Es ist genial, mit dem eigenen Auto unterwegs zu sein, denn die Mobilität eröffnet uns Gegenden, in die wir sonst nur mit hohem organisatorischen und finanziellen Aufwand reisen könnten. Dadurch, dass wir unser kleines Zuhause immer und überall aufstellen können, kommen wir fast täglich in den Genuss der erstaunlich vielfältigen, wunderschönen und teils erstaunlich unberührten und naturbelassenen Landschaften Kirgistans, die wir uns häufig mit nur wenigen anderen Menschen oder Tieren teilen. Doch wir merken auch immer wieder, dass es uns schwer fällt, von all den schönen Orten aufzubrechen und Kilometer zu schrubben. Manchmal treffen wir auf anderer Fahrer, die die Route, für die wir 66 Tage gebraucht haben, in zwei Wochen fahren oder die für die Strecke bis Europa, für die uns „nur noch“ vier Monate bleiben, drei Wochen veranschlagt haben. Das käme für uns nicht in Frage. Und jedes Mal, wenn wir wieder auf unsere Karte schauen, stellen wir mit Erschrecken fest, wie klein der Bereich eigentlich ist, den wir in den letzten zwei Monaten „erfahren“ haben und wie groß und weitläufig inbesondere Turkmenistan und der Iran sind, zwei Länder, die zudem bürokratische Hindernisse schaffen, die es zunächst zu überwinden gilt. 


Noch in Kasachstan: Waldlandschaften an den Kolsai Seen bzw. die Charyn Schlucht nahe der kirgisischen Grenze



Viele ältere Männer tragen noch immer die typisch kirgisischen Spitzhüte - auf dem Land sowie in der Stadt und eben auf Milchpackungen 



Seit mein Bruder und seine Freundin uns nach drei Wochen gemeinsamen Reisens verlassen haben und in ihren Arbeitsalltag zurückgelehrt sind, sind auch unsere „Ferien“ vorbei. Wenn wir nun morgens aufstehen, hat noch keiner Kaffeewasser aufgesetzt oder den Abwasch erledigt. Kochen und Feuerholz sammeln müssen wir nun auch wieder selbst und Timo ist abends deutlich müder vom Witzemachen, muss er doch die Aufgabe meiner Bespaßung nun wieder alleine ausführen. Und da die beiden auch sonst in jeglicher Hinsicht eine Leere in unserem Auto hinterlassen haben, haben wir uns angewöhnt, des Öfteren in- oder auch ausländischen Trampern eine Mitfahrgelegenheit zu bieten - insbesondere in abgeschiedenen Gegenden. Und da in Kirgistan so ziemlich alles, was nicht in oder um die Hauptstadt Bishkek liegt, abgeschieden ist und während der Sommermonate mehrheitlich von Hirten und ihren Herden bewohnt wird, bekommen wir Einblick in ein ganz anderes, hartes und von Verzicht geprägtes Leben. Die Unterhaltungen im Auto drehen sich dann meist um Fleischpreise, Landbesitz, unsere Kinderlosigkeit, Kraftfahrstoffe, Pferdestärken und darum, was in Deutschland alles anders ist als in Kirgistan. 


Nette Mitfahrer und obwohl es nicht danach aussieht, hat es dem Mann auch gefallen. Asiaten schauen auf Bildern ja meist so wie wir auf biometrischen Passbildern ;-)


Im Ala Archa Nationalpark bei Bishkek






Und obwohl die Länder mit -tan bislang Deutschland insgesamt viel ähnlicher sind, als wir anfangs angenommen hatten, fallen in Kirgistan auch viele Unterschiede auf: Da wären die Yurten, die das kirgisische Landschaftsbild maßgeblich prägen und die als Bushaltestellen, Shops, Raststätten, Feriencamps für Kinder, Touristenunterkünfte und Zuhause für kirgisische Familien dienen; da wären die vielen Regelbrecher bzw. Chaoten im Straßenverkehr (Wenn alle Autos an einer roten Ampel stehen, überhole einfach alle rechts - dann bist du schneller! Und wenn du mal stoppen musst, fahre bloß nicht ran, halte einfach dort, wo es dir in den Sinn kommt und vergiss deinen Blinker - gleiches gilt für Spurwechsel!); da wären die Berge riesiger Wasser- und Zuckermelonen, die am Straßenrand aus Lastern verkauft werden und die ebenso wie die Pfirsiche und Aprikosen so unendlich fruchtig und geschmacksvoll sind; da wären die brökelnden Denkmäler und Leninstatuen aus Sowjetzeiten, da wären die muslimischen Friedhöfe, die wie kleine Mittelalterstädte aussehen; da wären die Tiere, seien es Pferde, Schafe, Ziegen oder Kühe, die in einer für Deutschland undenkbaren Freiheit auf den saftigen Weiden des Hochlandes grasen; da wären die Berge, die nach Erreichen der 3000m-Marke weitere 4000m gen Himmel ragen; da wäre der Nationalsport, Kok-boru, bei dem Reiter versuchen, eine ca. 30kg schwere kopflose Ziege in einen „Korb“ aus Autoreifen zu buchsieren und da wären die vielen alternativen Milchspeisen, die die kirgisische Küche bereichern: Schubat, vergorene Kamelmilch, Kimis, vergorene Stutenmilch und Kurut, getrocknete Bällchen aus Quark, Salz und Getreide, die von Hand geformt werden. 



Filz wird nicht nur zur Herstellung der kirgisischen Hüte und Yurtenverkleidung benötigt, sondern findet Verwendung in einer Vielzahl von Souvenirartikeln und traditionellen Teppichen.



Plov/ Palao/ Pilaf, Leibspeise der Usbeken, Kasachen, Kirgisen und - wie wir vom tadjikischen Konsul in Bishkek erfahren haben - auch der Tadjiken :-). Wir freuen uns drauf... Ansonsten ist die Küche hier sehr russisch geprägt. Neben Bortsch (Rote Beete-Suppe) gibt es Manti (Maultaschen), Blini (Pfannkuchen), Piroggen (gefüllte Teigtaschen),... 


Während die Friedhöfe mit ihren Mausoleen in allen Formen und Farben eher arabisch anmuten, ist der Baustil der Häuser unverkennbar russisch; im Gegensatz zu den usbekischen Häusern fehlen hier gänzlich die hohen Mauern, die das Haus verstecken.


Auch  die eher chinesisch inspirierten Laghman (gebackene Nudeln) haben es uns angetan. Fehlt nur noch Parmesankäse...


Kurut gibt es am Straßenrand und im Supermarkt.

Spieler beim Kok-boru



Und was wäre ein sechswöchiger Aufenthalt in Kirgistan, wenn man nicht mindestens einmal in den Genuss von Kimis käme, dieses sonderbaren und doch so traditionellen Getränks, welches hierzulande Cola in seiner Beliebtheit weit übersteigt. Timo meint vergorene Stutenmilch schmecke wie Sekt mit Milch und vom Alkohol- und Kohlensäuregehalt kann das sogar hinkommen. Wir hatten es aus der Mongolei unangenehmer in Erinnerung. Da unsere Darmbakterien nun auch das kirgisische Siegel tragen, dürfte ja eigentlich nichts mehr schief gehen - auch wenn mir immer noch der Bauch schmerzt von dem zweiten Becher, den ich zur Wiedergutmachung getrunken habe, weil ich im Gegensatz zu Timo den Fleischberg nicht angerührt habe. Wir sollten bei Vodka bleiben, den kennt unser Magen ja sehr gut und den trinken die Kirgisen auch - in Mengen. Zum Glück läd uns nicht jede kirgisische Familie auf Kimis und Fleisch, sondern auch mal auf unverfänglichen Schwarztee mit frischer Kuhmilch (Chai) und Brot mit Butter und Schafsschmalz ein. 

Auch beliebt sind Gebäck und fritierte Snacks; der beliebteste in der gelben Schüssel: Borsok, wie Schmalzkuchen, (natürlich mit Kimis und Fleisch).

In den dreimonatigen Schulferien müssen die Kinder früh anpacken. 




Offroad begegnen wir manchmal studenlang keinen anderen Autofahrern, was in Anbetracht der Hürden, die unser Poputschik abseits geteerter Straßen überwinden muss, etwas beängstigend ist, zumal es in den Bergen auch keinen Internetempfang gibt. Doch bislang gibt es nichts, was Timo und unser Auto nicht gemeistert hätten bzw. was nicht von Mechanikern unterwegs in ein paar Handgriffen hat behoben werden können: Matsch, der dem Auto den Halt unter den Rädern nimmt, Hunderte von Kilometern auf Schotter ohne Platten (toi, toi, toi!), morsche Holzbrücken, Windrillen, die dazu geführt haben, dass sich durch das krasse Ruckeln unsere Seitentür nicht mehr schließen lies und unser Schloss ausgetauscht werden musste und ein Leck im Kühlwasserschlauch, der kurzerhand erneuert wurde. Zugegeben, bei einer der vielen Flussquerungen hat die Strömung unsere Radkappen abgerissen und unser Nummernschild verbogen und als wir am Yssyk Kol im Sand stecken geblieben sind, waren wir mehr als froh, noch Verstärkung an Board zum Buddeln und Anschieben zu haben. Und ein bisschen Glück hatten wir sicherlich auch schon beide Male, die uns fast das Benzin (trotz Reservekanister) ausgegangen ist. Da ist es nicht so schlimm, dass unsere Hupe seit Neuestem ab und zu ohne Betätigung hupt; schlimmer ist, dass mein Fenster seit der Autowäsche die Hupe nachahmt und „voll-automatisch“ runterfährt und Timos Fenster gar nicht mehr öffnet. Kein Grund zu Panik!


Fluss-/ Bachquerungen sind in Kirgistan keine Seltenheit.



Nach starken Regenfällen wie hier auf dem Weg zum abgeschiedenen Kel Suu (See) können sie auch mal etwas größer sein. Augen zu und durch!!! 

Kirgisisches Dorf in den Bergen




Bevor es nun in Richtung Pamir (Gebirge) und Tadjikistan und damit „endlich“ in ein neues Land entlang der Route geht, unterziehen wir unser Auto einem gründlichen Check hier in Osh, wo wir in den Autowerkstätten ja fast wie zu Hause sind: Unsere Achsen werden für noch mehr Offroad aufgebessert, der Keilriemen nach insgesamt 230 000km, die das Auto auf dem Buckel hat, ausgetauscht, die Standheizung hoffentlich für eisige Temperaturen auf über 4000m funktionstüchtig gemacht, die Fenster repariert - und neue Radkappen werden angebracht ;-) 

Ganz liebe Grüße schicken wir euch aus der Ferne und versprechen, nun in eure Richtung zu fahren!!! 






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